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Entstehung und Ursprünge

Wann und wie ein Brauch entstanden ist und wie sich die mit ihm verbundene Symbolik historisch verorten lässt, das ist nicht immer einfach zu beantworten. Dennoch gibt es so etwas wie eine „erste Erwähnung“, die eine Marke setzt, in Bezug auf die man zum einen die weitere Entwicklung betrachtet und zum anderen nach Ursprüngen und Vorläufern forscht. Wie Hans Meinl und Alfons Schweiggert in ihrem Buch über den Maibaum feststellen, ist der eigentliche Maibaumbrauch erst ab dem 13. Jahrhundert nachweisbar.

“Im Jahre 1225 tanzten nahezu alle Gemeindemitglieder in Aachen ausgelassen um einen großen Maibaum. Der Pfarrer nahm an diesem Brauch, der für ihn eindeutig heidnischen Urspungs war, derart Anstoß, dass er kurzerhand zur Axt griff und den Baum fällte. Bei dem infolge dieser Tat entstehenden Handgemenge wurde der eifernde Gottesmann sogar verletzt. Der Vogt wurde herbeigeholt, um nach dem Rechten zu sehen und die Maibaumfreunde, die gegen einen Mann der Kirche handgreiflich geworden waren, der gerechten Strafe zuzuführen. Aber der hohe Herr stellte sich auf die Seite des Volkes. Er befahl, einen noch schöneren und größeren Maibaum aufzustellen, was dazu führte, dass dieser Mann in der Gunst der Bürger erheblich stieg. Ab diesem Zeitpunkt gab es den Maibaumstreit. Auf der einen Seite stand das Volk, das zunehmend mehr den Maibaumbrauch befürwortete. Auf der anderen Seite befand sich die Kirche, die in dem Vordringen eines originär heidnischen Brauchtums einen Angriff auf die christliche Lehre sah“
(a .a. O., S. 26)

Kaum ins Leben gerufen wird der Maibaum somit schon zum Streitgegenstand, der europaweit eine von kirchlicher Seite initiierte Verbotswelle in Gang setzt, die die Tradition für ein ganzes Jahrhundert zurückdrängt. Gleichzeitig setzt schon hier der Versuch einiger Kirchenleute, die die wachsende Beliebtheit des Brauchs beobachteten, ein, die vermeintlich heidnische Tradition durch christliche Umdeutung zu absorbieren und damit „kompatibel“ zu machen. Und so fiel es sicherlich nicht schwer, den himmelwärts gerichteten Maibaum mit dem Hinweis auf Gott zu assoziieren. Oder die beliebten Reigentänze um den Maibaum in Form kirchlicher Prozessionen um die Felder, Ortschaften oder das Kirchengebäude zu transformieren. Beides, machtpolitischer Anspruch und religiös-naturmythische Beschwörung spielen von Beginn der Maibaumgeschichte ineinander. Gerade deshalb sind seine Wurzeln viel früher zu suchen, auch wenn die Bezeichnung und Modellierung als Maibaum mit den auch heute noch typischen Elementen „Entrindeter Stamm, naturgrüner Wipfelbuschen, Kränze und andere Fruchtbarkeitssymbole“ jüngeren Datums ist.

So finden sich bereits in der Antike Hinweise auf kultische Handlungen und Symbole, welche an den Maibaum erinnern. Auf manchen altägyptischen Rollsiegeln etwa sind Darstellungen stilisierter „Baumstäbe“ zu erkennen, die in Fruchtbarkeit beschwörende Szenen eingebunden sind. Hohepriester und Herrscher werden in ähnlichen Zusammenhängen mit von Grün umwickelten Stäben gezeigt, die offenbar zur Beschwörung der Fruchtbarkeit der Erde gebraucht wurden. In anderen Darstellungen fungieren zeichenhafte Baumsäulen als Phallus-Symbole. Ähnliche Symbole für Lebenskraft und Wachstum sind auch in den Dionysos-Kult der Griechen integriert: Dionysos wurde nicht nur als Gott des Weines, sondern auch als Gott der Vegetation und besonders der Bäume verehrt, er wurde deshalb häufig als aufrecht stehender, mit einer Maske behangener Baumpfahl dargestellt. Anhänger des Kultes trugen einen Thyrsos, das war ein mit Efeu und Weinlaub bekränzter Stab. Auch die Römer sahen Bäume als Symbol der blühenden Jahreszeit, die durch den Mai eingeleitet wurde. So wird in der Etymologie als Namensgeber des Monats Mai ein altitalischer Gott namens Maius vermutet, der als Beschützer des Wachstums verehrt worden sein soll. Die Kelten feierten am 1. Mai mit „Beltane“ eines ihrer an den Jahreszeiten orientierten Hauptfeste. Dass Kelten und Germanen ein intensives Verhältnis zu Bäumen pflegten, ist im übrigen allgemein bekannt, lässt sich aber sicher besser im Zusammenhang des Lebensbaum- und Weltbaumbegriffs betrachten, da Bäume hier in Alltag und Mythos als umfassende Ritualmittel, Lebensbegleiter und Lebenssymbole erscheinen. Reste dieser Baumverehrung sind auch im heutigen Maibaumbrauch noch erkennbar, insofern das Schlagen und Heimholen, ebenso wie das Aufrichten und spätere Umlegen des Maibaums bestimmten rituellen Vorgaben folgt, die den Respekt vor diesem Baum-Wesen zum Ausdruck bringen, welches letztlich für den von Menschen gemachten Brauch sein Leben lässt. Alle Arbeitsschritte sollten traditionsgemäß in Demut und in dem Bewusstsein geschehen, dass der Maibaum seine natürliche Kraft und Ausstrahlung an diejenigen abgibt, welche ihn in seine Nähe bringen. Der Baum lebt im Holz weiter, dokumentiert nach ritueller Verwandlung seine Lebensgeschichte und wird damit zum Lebens- und Wachstumssymbol.

 

Erinnerungsbild Beltane 2015 des Adrana Hains, Protohain ADF
Fotografiert von Elen Adair

 

Etablierung und Bedeutungsverschiebungen

Die wachsende Beliebtheit des Maibaumbrauchs steht im Kontext weiterer jahreszeitlicher Bräuche und Rituale, deren Bedeutung v. a. in ihren sozial-kommunikativen Funktionen zu sehen ist. So waren Frühjahrsbräuche nicht allerorts um den 1. Mai konzentriert, sondern in kälteren Regionen, in denen der Frühling später einzog, häufig erst um Pfingsten. Als Pfingstmaien, -laub oder –wedel wurden anders als beim Maibaum, der meist eine Fichte war und ist, kleine Birkenbäumchen bzw. Birkenzweige oder –äste verwendet.

“Der Pfingstmaien wurde von jungen Burschen „gesetzt“. Die Mädchen, sofern sie mit dem Bäumchen nicht selbst überrascht werden sollten und dann natürlich nicht eingeweiht waren, halfen den Burschen, die Birkenbäumchen zu schmücken, oft auch mit allerlei nützlichen Dingen, wie Tabakspfeifen, Taschenmessern, Taschenspiegeln, Zigarrenbündeln, Geldbörsen und Taschentüchern. Bei den Pfingstmaien handelt es sich meist um einen Bund von Birkenzweigen – repräsentativer war natürlich ein ganz junges Birkenstämmchen, das bisweilen durchaus bis zu fünfzehn Metern hoch gewachsen sein konnte. In der Nacht vor dem Pfingstsonntag oder auch am frühen Morgen des Feiertages schwärmte die ganze Dorfjugend aus, um den Maien abzuholzen und an einem bestimmten Platz aufzustellen. Ein jeder versuchte, ein besonders schön gewachsenes Bäumchen zu finden.“
(Meinl/Schweiggert, a. a. O.: S. 24-25)

Diese Maien wurden als Zeichen der Zuneigung, Verehrung oder als Heiratsantrag aufgestellt und von den jeweiligen Adressaten als Glücksbringer oder Fruchtbarkeitszauber mit entsprechenden Erwartungen besetzt. Sie wurden entweder vor das Haus oder in den Hof gepflanzt, in Kammern aufgestellt oder auf Dächern und an Fensterläden befestigt. Dabei entwickelte sich so etwas wie eine „Maiensprache“, aus der regional verschieden die konkrete Aussageabsicht des Rituals erkennbar war. Übrigens auch in gegenteiliger Richtung: Statt eines naturgrünen Birkenbäumchen wurden an vermeintlich liederliche oder unordentliche Mitbürger auch mal sog. Schandmeien, z. B. verdorrte Zweige oder trockene Strohbesen vergeben. Außer zur Beschwörung von Wachstum und Fruchtbarkeit wurde das Pfingstgrün häufig auch als Schutzmittel verstanden. So zum Beispiel bei dem noch im vergangenen Jahrhundert verbreiteten "Pfeffern": Junge Männer "pfefferten", d. h. schlugen Mitbewohner, v. a. die jungen Mädchen, mit frischen Birkenzweigen - eine symbolische Handlung, um die gestreiften für den Lauf des Jahres vor Krankheiten zu schützen. Solche Pfingstbräuche stehen in so engem Zusammenhang mit der Tradition des Maibaums, dass schwerlich entschieden werden kann, welche Tradition nun die ursprünglichere sei. Der Bezug beider Brauchtumsformen auf unterschiedliche Termine innerhalb des Mai war von den regionalen klimatischen Bedingungen beeinflusst, kann eine sinnhafte Verwandtschaft aber nicht verbergen.

Während des 15. und 16. Jahrhunderts festigt sich der Brauch des Maiensteckens ebenso wie der des Aufstellens größerer, zentral platzierter Maibäume. Mit Beginn des 16. Jahrhunderts wurden diese entrindeten, glatten Maibaumstangen auch zum Wettklettern verwendet. Bräuche dieser Art wurden inzwischen weitgehend von Seiten der Kirche toleriert, jedenfalls soweit sie nicht mit genuin kirchlichen Bräuchen vermischt wurden oder diesen widersprachen. Dennoch war auch in den folgenden beiden Jahrhunderten die Bewertung des Maibaums sowohl auf herrschaftlicher als auch auf kirchlicher Seite divergierend. Auch wenn nach dem dreißigjährigen Krieg (1618-1648) nach soldatischem Brauch Maibäume regelmäßig zum 1. Mai als „Ehrenbäume“, nämlich zu Ehren der Offiziere, Fürsten und hohen Ratsherren, aufgestellt wurden und der Brauch dadurch bei der übrigen Bevölkerung zunehmende Akzeptanz genoss.

„Durch das erneute Aufleben des Maibaumbrauches wurden natürlich wieder die Kirche und deren Beschützer auf den Plan gerufen. Die Theologen – katholische wie evangelische – lehnten den Maibaum strikt ab, die dem Volk nahe stehenden Prediger dagegen wollten den Brauch gelten lassen. Auch Landesherren, so Pfalzgraf Philipp Wilhelm, sprachen sich dagegen aus. In der Oberpfälzer Polizeiordnung von 1657 wird das Maibaumstecken sogar als >>unflätiges, unchristliches Ding << untersagt.“
(Meinl/Schweiggert, a .a. O.: S. 28)

Als Gründe für die Ablehnung wurden von hoheitlicher Seite (Waldbesitzer, Landesherren) etwa der hohe Holzverbrauch durch das Maibaumschlagen genannt. Den Theologen dagegen war v. a. das ausschweifende Feiern um den Maibaum und das berüchtigte Image des Mai als Monat der Freizügigkeit und Erotik (Mailehen, Maienstecken) ein Dorn im Auge. Bis ins 20. Jahrhundert werden sich auch diese Wogen geglättet haben. Vorher aber wird der Maibaum noch eine Reihe von Wandlungen durchmachen, die ihm ganz neue Bedeutungen als politisches Symbol zuweisen. So wird er zum Freiheitsbaum, seitdem am 14. August 1765 in Boston zwei rebellierende Engländer an Ulmen aufgehängt wurden. An einem dieser Bäume wurde später eine Tafel angebracht mit der Inschrift: „The tree of liberty“. Dies hat man andernorts zum Anlass genommen, geeignete Bäume, Masten oder Stangen ebenfalls zu Freiheitsbäumen zu erklären. Die Maibaumtradition gerät so in den Kontext revolutionärer Entwicklungen: der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 und der französischen Revolution von 1789.

„Der Freiheitsbaum war das besondere Symbol der Französischen Revolution, entstanden im Winter 1789/90 aus der bäuerlichen Tradition des Maibaums, dem er zunächst auch ähnelte. Er war bis zum Gipfel entastet und trug auf der Spitze die Jakobinermütze als Zeichen des Umsturzes. Am ersten Jahrestag des Sturms auf die Bastille waren die Mauern mit Maistangen besetzt, an denen Fahnen hingen. Eine davon trug die Aufschrift „Liberté“. Bereits 1794 erließ der Nationalkonvent hinsichtlich der zahlreichen Freiheitsbäume eine Vorschrift. Sie durften nun nicht mehr gefällt werden, sie mussten leben. Deshalb mussten sie mit Wurzeln gepflanzt oder verpflanzt werden.“
(Meinl/Schweiggert, a. a. O.: S. 34)

Freiheitsbäume tauchen nun auch in Deutschland während der Mainzer Republik (1792-1798) auf. Die Tradition setzt sich in Deutschland und der Schweiz bis Mitte des 19. Jahrhunderts fort. In dieser Zeit wurde der Baum auch als Ort für Verlobungen und Hochzeiten gebraucht. Mit der gescheiterten Revolution von 1848 aber stirbt die Tradition des Freiheitsbaums ab, während die Maibaumidee weiterlebt. Die politische Dimension allerdings hat der Maibaum ebenso wie der 1. Mai als Feiertag bis heute nicht mehr abgelegt. Auch hier kamen die Anstöße aus den Vereinigten Staaten. Am 1. Mai 1886 traten in Chicago 30.000 Arbeiter für den 8-Stunden-Tag in den Streik, wobei es Kämpfe mit Verletzten und Toten gab. Seitdem der 1. Mai im Jahre 1889 als sozialistischer Weltfeiertag eingeführt wurde, gedenkt die internationale Arbeiterschaft dieses Ereignisses. Und so ist es zu erklären, dass bereits wenige Jahre später, nämlich 1898 in Stuttgart von den Behörden eine Maidemonstration genehmigt wurde, bei der u. a. zwei kleine Birken als „Maibäumchen“ mitgeführt wurden. So erscheint der Maibaum als „Baum der Arbeit“, ein bis ins 20. Jahrhundert hineinreichendes Warnzeichen der Arbeiterbewegung, die für verkürzte Arbeitszeit, gerechten Lohn, Gleichstellung von Mann und Frau und die soziale Sicherung im Alter eintritt. Neben den Demonstrationen hat sich auch das gesellige Beisammensein und das gemeinsame Wandern ins Grüne am 1. Mai eingebürgert. Erst nach dem ersten Weltkrieg, im Jahre 1919, wird der 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag und damit zu einem politisch entschärften freien Tag. Seitdem gewinnen die reich verzierten (in der Tradition des barocken Handwerks stehenden) Sprossen-Maibäume mit Darstellungen von Handwerkszünften oder Dorfszenen an Beliebtheit. Eine andere politische Dimension des Maibaums, die bis in heutige Tage hinein reicht, ist nicht zu vernachlässigen: Seitdem zu Beginn des 19. Jahrhunderts die gemeindliche Selbstverwaltung eingeführt wurde, erhielt der Maibaum den Status eines volksbräuchlichen Nationalsymbols, das von der damaligen Monarchie unterstützt wurde und den Stolz der einzelnen Dörfer zum Ausdruck brachte. Der noch heute gültige „Konkurrenzkampf“ innerhalb der Hochburgen des Brauchtums um den schönsten oder höchsten Maibaum ist vor diesem Hintergrund verständlich. Im gleichen Zuge mit der weltlichen Beliebtheit des Maibaums schloss sich die Kirche mit dem Versuch an, den Maibaum als österliches Symbol der Erlösung und Auferstehung zu interpretieren: Leidenswerkzeuge Christi und Kreuze wurde mancherorts als Maibaumschmuck eingeführt. Andernorts wurde der Baum als Marienbaum der Gottesmutter geweiht. Die Politisierung des Maibaums erfährt mit der Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 eine Pervertierung als Propagandainstrument. Im selben Maße, in dem der 1. Mai als gesetzlicher „Volksfeiertag“ die Massen auf den politischen Kurs der Nationalsozialisten einschwören sollte, wird der Maibaum in dieser Phase zum inszenatorischen Requisit. So wird etwa in Bayern unter Strafandrohung die Pflicht eingeführt, den Maibaum mit Hakenkreuzfähnchen und nicht mehr mit den bis dahin üblichen weiß-blauen Fähnchen zu versehen.

Nach 1945 lebt die Maibaumtradition wieder neu auf, besonders stark in Hessen und Nordbayern. Gewerkschaften setzten sich sehr schnell wieder – in weniger kämpferischer Manier als vor dem Krieg - für Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit unter dem (rotbebänderten) Maibaum ein. Bei der weniger politisch eingestellten ländlichen Bevölkerung lebte der Brauch auch wieder neu auf - mit der zu den Ursprüngen zurück reichenden Vorstellung, dass der Baum Wachstum, Fruchtbarkeit und Glück in wirtschaftlicher Hinsicht beschwören möge bzw. Unheil wie Blitz, Hagel und Ungeziefer bannen mag. In den Hochburgen entstehen nun auch Maibaumgruppen und Maibaumvereine. Auch die christliche Kirche hat den Brauch inzwischen absorbiert, erteilt vielerorts dem Maibaum sogar ihren Segen. Dies ist möglich, nachdem 1955 von Papst Pius XII. auf den 1. Mai das Fest „Josef der Arbeiter“ gelegt wurde. Man brachte nun den Maibaum in Verbindung mit dem Zimmermann Josef, so wie der Monat Mai ja seit langem mit der Gottesmutter Maria in Verbindung gebracht wurde, so konnten gedankliche Brücken zwischen der schweißtreibenden Arbeit der Zimmerleute und der Arbeit der Maibaum-Macher geschlagen werden.

 
Bild aus dem Adrana Hain, Protohain ADF Beltane Ritual 2016
Fotografiert von A.G.

 

Tradition und Symbolkomplexe

Der historische Überblick zeigt, wie sich die Bedeutung des Maibaums im Gleichklang verwandter Bräuche verändert hat und im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neue symbolische Implikationen erhielt. Die unterschiedlichen Bedeutungen traten dabei der jeweiligen Mode entsprechend hervor oder verschwanden auch wieder. Trotz der großen auch regional geprägten Variationsbreite in Ausgestaltung und ritueller Einbindung des Maibaums lassen sich an verschiedenen Elementen des Brauchs doch grundlegende Sinnelemente herausarbeiten. Dabei geht es zum einen um die Elemente des Maibaums selber als auch um die weiter gefassten Rituale, innerhalb derer der Maibaum eine zentrale Rolle spielt.

So verweist das auch heute noch beliebte Maibaumstehlen auf die heidnischen Wurzeln des Brauchs und auf die Nacht vor dem 1. Mai, welche als Hexen- oder Walpurgisnacht bekannt ist. Diese Nacht war ursprünglich die Nacht der Vorbereitung auf den Beginn des Frühlings, in der die Ablösung der Jahrzeit zelebriert und in der alle dem neuen Wachstum noch entgegen stehenden bösen Mächte gebannt werden sollten. Dem vorüber gehenden Chaos in der Welt der Geister begegnete man mit einem analogen, nämlich ähnlich regellosen Verhalten:

“Noch einmal begehren jetzt die Dunkelmächte und bösen Geister der Finsternis und der düsteren Winterzeit auf, um schließlich durch allerlei Abschreckungsmaßnahmen, vornehmlich durch Lärm mittels Peitschenknallen, Drudenpfeifengetöse und Schießen, durch Feuer und durch Ausräuchern von Haus und Hof in ihre Schranken gewiesen zu werden. In dieser Nacht sind alle Zaubermächte losgebunden und müssen demzufolge tunlichst „dingfest“ gemacht werden. Die Mächte der Finsternis, vor allem besenreitende Hexen mit ihren Katzen und Ziegenböcken, feiern im Beisein des Teufels persönlich einen orgiastischen Hexensabbat mit allen verruchten Gottlosigkeiten der Hölle.“ (Meinl/Schweiggert, a. a. O.: S. 49)

Mit dieser Vorstellung einer rituellen Vertreibung des Winters und Beschwörung des Frühlings ist auch die Bezeichnung als Walpurgisnacht geknüpft. Der Name geht zurück auf die heilige Walburga, welche 778 als Äbtissin des Klosters Heidenheim bei Eichstätt verstarb. Diese galt als Patronin der Mägde und Bäuerinnen und als Beschützerin zauberhafter Künste, weshalb man ihr zutraute, das unheilvolle Treiben der Hexen und bösen Geister zu stören. Und so ist es auch zu verstehen, dass mancherorts die Tradition vorsieht, den Maibaum erst am Morgen des 1. Mai im Wald zu schlagen und dann bis zum Morgengrauen aufzustellen. Er wird damit zum sinnfälligen und für alle sichtbaren Zeichen des frühlingshaften Aufbruchs, das in seiner aufrechten Gestalt den Sieg im Kampf gegen die Dunkelmächte der zurück liegenden Nacht dokumentiert. Entsprechend ist das rituelle Maibaumstehlen als Handlung in Stellvertretung von Hexen und Geistern aufzufassen, gegen die sich die Besitzer des Maibaums durch Wachsamkeit und Zusammenhalt erwehren müssen, damit der Maibaum seine Segen bringende Wirkung für das Gemeinwesen entfalten kann.

Ähnlichen traditionsbestimmten Regeln folgt das Fällen oder Umlegen des ausgewählten (späteren) Maibaums im Wald. Wichtig ist dabei, dass beim Fallen die Zweige an der Spitze nicht beschädigt werden. Diese Spitze ist es nämlich, die als „Wipfelbuschen“ später stehen bleibt und an die natürliche Form des Baums erinnert, während der übrige Stamm entastet und in der Regel auch entrindet wird. Obwohl also dem Baum Gewalt in dem Sinne angetan wird, dass er von seinem ursprünglichen, verwurzelten Platz entfernt und zu einem Kult-Objekt umgeformt wird, wird doch im Ritual der Aspekt des Lebendigen hervorgehoben und durch die Entastung des Stamms auf den noch grünen Wipfelbereich fokussiert. Und in diesem liegt die „göttliche“ Kraft, die sich mittels des Baums auf die Menschen seines Umfeldes übertragen mag. Ebenso wie die bei prunkvollen Sprossen-Maibäumen später angebrachten Zunftzeichen, Wappen und Embleme die ursprünglich vorhandenen Äste, Zweige, Blätter und Früchte des Baums ersetzen und die Wachstumskräfte des Baums auf den Personenkreis abstrahlen mögen, die diese künstlichen Zeichen repräsentieren. Oder wie beim Maibaumklettern auf diejenigen mutigen Männer, welche die Spitze des Baums als erste erreichen und damit die symbolhaften Geschenke des Maibaumkranzes genießen dürfen. Der Baum übernimmt hier als Elemente der Erde die Rolle des Vermittlers zwischen Himmel und Menschen, des Katalysators göttlicher Gunsterweise. Ein transzendenter Sinn, der in heutigem Maibaumbrauchtum auf den ersten Blick nur schwer erkennbar ist, den Wurzeln der Tradition aber möglicherweise sehr nahe kommt. Zum besseren Verständnis mag das von Jacques Brosse in seiner „Mythologie der Bäume“ genannte Beispiel einer uns fremden Kultur dienen:

Während im nordasiatischen Raum i. d. R. die Fichte als der Weltenbaum gilt, nimmt bei den sibirischen Schamanen, insbesondere bei dem Volk der Buriäten, die Birke eine zentrale Rolle bei den Initiationszeremonien ein. Die komplizierten mehrtägigen Zeremonien beginnen mit einem Reinigungsritus, im Laufe dessen der Rücken des Schamanenlehrlings mit einem vorab präparierten Besen aus Birkenreisig berührt wird. Am Vorabend der Einweihung bereits werden starke und gerade gewachsene Birken in dem Wald geschlagen, in dem die Ahnen begraben sind. Die stärkste dieser Birken wird in der Mitte des Zeltes des Kandidaten aufgestellt, mit den Wurzeln an der Feuerstelle und dem Wipfel oberhalb des Rauchlochs. Diese Birke verbleibt für immer im Zelt, ermöglicht dem Schamanen einen Zugang zur himmlischen Sphäre, gibt ihm somit Kraft und zeigt darüber hinaus den übrigen Bewohnern, dass es sich um einen Eingeweihten handelt. Die übrigen gefällten Birken werden nach einem festgelegten Schema in der Nähe aufgepflanzt, eine davon fest im Boden verankert. Letztere wird vom Schamanenvater und von dem Kandidaten in einer von Trommelritualen initiierten Trance bestiegen. Es ist dies ein Ritual des Aufstiegs in den Himmel, das durch das Anbringen von neun Einschnitten am Wipfel der Birke - Symbol für neun übereinanderliegende Himmelsgeschosse - begleitet wird. Ähnliche rituelle Baumbesteigungen finden sich in allen schamanischen Initiationsriten, ebenso in Nordamerika und Indien.

Hier sind es also die Birken, die dem Eingeweihten als Hilfsmittel dienen, die Verbindung zum Licht herzustellen und damit dem Gemeinwesen auf spiritueller Ebene beizustehen. Die Birken, welche ja auch bei der oben erwähnten Tradition der Pfingstmaien Verwendung finden, während als Maibaum in der Regel eine Fichte verwendet wird. Beide Baumarten sind mit einer Vielzahl von mythologischen, volkstümlichen und volksmedizinischen Implikationen beladen, die sicherlich teilweise ihren Einsatz im Rahmen dieses Brauchtums erklären. So gilt die Birke als Segen und Fruchtbarkeit bringender Lichtbaum, der mit Frühling, Freude, Liebe und Heiterkeit in Verbindung gebracht wird. Die Birke ist zudem einer der am frühesten blühenden und Laub treibenden Bäume, die auch um den 1. Mai herum bereits die ihr eigene Anmut ausstrahlt. Die Fichte dagegen hat eine etwas ernstere, wenn auch nicht weniger lichtvolle Ausstrahlung, die sich mit dem Sprießen junger Triebe im Mai auch äußerlich zeigt, nachdem sie als immergrüner Nadelbaum in nahezu unveränderter Gestalt den Winter überstanden hat. Dass für die heute übliche monumentale Form des Maibaums aber meist eine Fichte verwendet wird, hat vor allem auch praktische Gründe. Sie hat eben im Vergleich zur Birke den geraderen Wuchs und eignet sich mit ihrer pyramidenhaften Verjüngung und größeren Stabilität hervorragend als Maibaum.

Bild aus dem Adrana Hain, Protohain ADF Beltane Ritual 2016
Fotografiert von A.G.

 

Der gerade Wuchs ist es dann auch, der neben der Höhe bei der Auswahl eines Baumes im Wald den Ausschlag gibt. Er versinnbildlicht Standfestigkeit, ebenso wie das Entasten der Vorstellung nach die Kraft im Stamm zentriert. Meinl und Schweiggert fassen die Symbolik der Elemente des Maibaums folgendermaßen zusammen:

„Gerades Wachstum versinnbildlicht Kraft und Gesundheit. Der rindenlose Zustand, den der >>geschäpste>> Baum aufweist, ist wichtig, damit sich nach altem Glauben nicht Hexen und böse Geister in Gestalt von Käfern unter der Borke versteckt halten. … An der Spitze des Maibaums muß ein grüner Wipfel zu sehen sein. Denn nach germanischer Vorstellung wohnten dort die guten Geister und höchsten Götter. Fehlt die Krone, gilt deshalb der Baum gleichsam als >>kraftlos<<. Der Kranz an der Spitze soll aus natürlichen Reisern bestehen und nicht aus Kunststoffmaterial gefertigt sein. Er versinnbildlicht das weibliche Element, das von dem männlichen, dem Stamm, durchdrungen wird. Fehlt der Kranz, ist der Baum kein Fruchtbarkeitssymbol mehr. … Die Bänder am Kranz üben einen Bindezauber aus. Es wird der Segen des Gedeihens angebunden. Rote Bänder versinnbildichen Liebeskraft und als Blut auch Lebenskraft. Bunte Bänder, Tücher, Eier, ja sogar Würste und Schinken, bisweilen auch vergoldete Nüsse, rote Früchte und Beeren, die Reichtum und Fülle symbolisieren, sind aber auch der begehrte Preis bei Maiwettbewerben.“ a. a. O.: S. 55)

„Beim Bandltanz um den Maibaum wurden früher am Wipfel befestigte Bänder um den entrindeten Stamm geflochten und im Gegentanz wieder aufgeflochten. Heute, bei den höheren Maibäumen, bringt man die Bänder an der unteren Hälfte des Stammes an. ….. Im Bandltanz liegt auch die Fruchtbarkeitssymbolik des Flechtens….. Der umkreisende Tanz zielt des weiteren auf eine magische Bindung und den Schutz des Guten nach innen und die Abwehr des Bösen nach außen. Im Kreis wird Segen festgehalten und verstärkt oder Feindliches gebunden und geschwächt. Schön aus der Antike und dem Mittelalter ist der Brauch bezeugt, dass durch Umschlingen mit Faden, Band, Eisenring, Kette oder Kranz Leiden geheilt werden und Segen von dem umkreisten Gegenstand auszugehen pflegt.“ (a. a. O.: S. 57)

So zeigen sich an den zeichenhaften Elementen des Maibaums und der mit ihm verbundenen Rituale gewisse Konstanten, die die Jahrhunderte währende Tradition überdauert haben und sich an Vorläufer des Maibaums anschließen:
- Symbole der Fruchtbarkeit, des Wachstums, des Aufbruchs und der Ablösung wachstumsfeindlicher böser Mächte:
- Symbole der göttlichen Kraft und Energie, konzentriert und den Menschen vermittelt durch den Maibaum.
- Symbole der Freude, des Glücks, des sozialen Zusammenhalts und der Gemeinschaft Gleichgesinnter.
Alle diese Elemente spielen zusammen und machen die bis in heutige Zeit gültige Beliebtheit des Brauchs verständlich. Das Kunstprodukt Maibaum entspricht grundlegenden symbolischen und spirituellen Bedürfnissen der Menschen, was ihn relativ unabhängig von flüchtigen Modeerscheinungen macht. Und so ist es auch zu erklären, dass er im Gegensatz zu verwandten von Meinl/Schweiggert (a. a. O.) erwähnten regional oder lokal eingegrenzten Symbolbäumen wie dem Palmbaum, dem Questenbaum, den Prangerstangen, dem Kirchweihbaum, dem Narrenbaum und dem Hochzeitsbaum in vielen europäischen Regionen ein Begriff ist. Neben dem weltweit verbreiteten Weihnachtsbaum ist er damit einer der bekanntesten von Menschen gemachten Symbol-Bäume - und wird es bleiben, solange Menschen das Bedürfnis verspüren, das himmlische Geschenk des Frühlings zu feiern.

 

Literatur zum Thema:

Hans Meinl / Alfons Schweiggert: Der Maibaum. Geschichte und Geschichten um ein beliebtes Brauchtum.

Jacques Brosse: Mythologie der Bäume .

Susanne Fischer-Rizzi: Blätter von Bäumen. Legenden, Mythen, Heilanwendung und Betrachtung von einheimischen Bäumen.

 

Mit freundlicher Genehmigung des Autoren Bernhard Lux 
Besucht auch seine wunderschöne Homepage dem Thema Bäume gewidmet: www.wunschbaum.de
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Bildnachweis
In seinem Artikel sind ursprünglich andere Bilder drin, aus Copyright Gründen habe ich eigene verwendet.
Die Bilder stammen aus den Ritualen des Adrana Hains, ADF Protohain und für den Sternenkreis zur Verfügung gestellt.

 

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