Das fahle Mondlicht fiel auf die Wellen des Wassers, das gegen die Brandung der Klippe flog. Ein einsamer Habicht zog schreiend seine Kreise in der Nähe des Waldes, als sein stählerner Blick einen einsamen Wanderer beobachtete, der in hastigen Schritten seinen Weg auf eine versteckt gelegene Höhle zuging, die unterhalb eines Hügels in der Nähe der Klippen lag.

Er trug einen dunklen Regenmantel und einen breitkrempigen Hut, der sein Gesicht verdeckte. Die Gestalt hob seinen Kopf, und blickte in den Himmel, und im fahlen Mondlicht war das Gesicht eines alten Mannes zu sehen. Seine Haare, die aus dem Hut hervorlugten, waren grau und schütter, und die zerknitterten Züge seines Gesichtes zeugten von einem langen und ereignisreichen Leben.

Er trug eine randlose Brille, und als er seine Hand hob, um die Brille gerade zu rücken, wurde eine Narbe in Form eines verätzten Hakenkreuzes in der Innenseite seiner rechten Hand sichtbar.

Seine goldene Uhr leuchtete im Mondlicht hell auf, und irritierten den Habicht, der über ihm weiter seine Kreise zog, und dann fortflog.. Nach wenigen Minuten hatte er sein Ziel erreicht. Zwei weitere Männer, beide jünger als er, warteten schon.

„Bist du der Dritte“, fragte ihn der Jüngste?“

Wortlos nickte er.

„Dann warten wir nur noch auf das Erscheinen des Meisters“, sagte der Mittlere, der in seinem grauen Tweedanzug wie ein englischer Lord aussah.

Sie warteten.

„Ich heiße Nick“, sagte der Jüngste der drei Männer!

„Jochen“, sagte der Mittlere, und nickte hoheitsvoll.

„Friedrich“, sagte der Alte, und zog seinen Mantel aus, den er zu den Mänteln der beiden

anderen Männer auf einen kleinen Felsstein legte. Er trug einen grauen einfarbigen Anzug,

der ihm das Aussehen eines Beamten gab. Sein weißes Hemd wurde nur von dem leichten Farbtupfer einer roten Fliege unterbrochen, das zu seinem Anzug passte, wie ein Hering zu einem Western-Rodeo.

Er blickte in den Himmel.

Er beobachtete, wie der runde Mond sich dunkelrot färbte, und er spürte, wie die Farbe

seiner Augen sich ebenfalls dunkelrot verfärbte. Er drehte sich um, und sagte: „Es ist soweit! Wir können mit dem Ritual beginnen!“

„Bald werden die drei Hexen nur noch Geschichte sein“, sagte Nick, und lächelte. „Besonders die Vernichtung einer der drei Hexen wird mir persönlich ein besonderes Vergnügen sein!“

Nora saß auf ihrem Ledersofa und weinte.

Ihre beste Freundin Barbara war in ihren Armen gestorben. Und sie konnte nicht vorher bei ihr in ihren letzten Stunden sein, weil sie wieder einmal mit Anna und Gerlinde dabei war, die Welt für Frauen ein wenig sicherer zu machen.

Sie vermisste ihre Freundin, und sie blickte andauernd auf die Bilder, die sie aus ihren diversen Fotoalben herausgeholt hatte. Ein Bild zeigte sie und Barbara, wie beide versuchten, auf ihren Shetlandponys als Schulmädchen eine tollkühne Figur zu machen. Die Pferde gehörten einem von Barbaras vielen „Onkeln“, wie sie die wechselnden Liebhaber ihrer Mutter scherzhaft nannte. Einer der wenigen netten Männer, die sich Barbaras Mutter ausgesucht hatte. Er war Schausteller, und reiste mit seinen Ponys von Ort zu Ort, und ließ Kinder gegen ein kleines Entgeld auf den Rücken der Pferde reiten.

Tränen rollten über ihre Wangen. Tränen, die sie daran erinnerten, wie viel Barbara ihr bedeutete!

„Ich vermisse dich so“, sagte sie, als sie das Bild betrachtete, das sie und Barbara bei einem Ausflug zeigte, bei dem sie zum ersten Mal von Johannes, einem Mitschüler, geküsst wurde. Sie waren beide zwölf Jahre alt gewesen, und waren auf einem Schulausflug nach Bergen- Belsen, dem Konzentrationslager der Nazis. Sie wollten gerade in den Schulbus steigen, der sie wieder nach Hause bringen sollte, als Johannes wie aus dem Nichts hervorsprang, und ihr einen Kuss auf ihre rechte Wange drückte.

Später erzählte ihr Barbara, das Johannes schon lange in sie verliebt war, sich aber nie getraut hatte, es ihr zu beichten, und das sie deshalb ihm gut zugeredet hatte. Johannes brauchte lange, bis er es gewagt hatte, diesen Kuss ihr auf die Wange zu drücken.

Johannes wurde ihr erster Freund, und er verschwand eines Tages, ohne das sie wusste, wohin er fort war.

Die Klingel ihrer Tür erschallte.

Verstohlen wischte sie sich die Tränen ab, die sich ihren Weg aus ihren Augen über ihr Gesicht gesucht hatten.

Sie stand auf und ging zur Tür.

„Wer ist da“, fragte sie?

„Wir sind Jehovas Zeugen, und wir möchten mit ihnen gerne über die Botschaft Gottes sprechen, so wie er sie uns in der Bibel geoffenbart hatte“, sagte die Stimme einer älteren Frau!

Auch das noch! Ne Sekte! Na toll, überlegte sie!

„Ich habe kein Interesse an ihrer Botschaft! Ich bin eine Anbeterin des Teufels, und wenn sie nicht gleich verschwinden, hetze ich ihnen meine Dämonen auf den Leib“.

Sie hörte, wie sich die Stimme der Ruferin eilends entfernte.

Na, mein alter Trick funktioniert doch immer wieder, dachte sie. Jetzt habe ich erst einmal ne Weile Ruhe, und werde von diesen Idioten von den Zeugen Jehovas nicht mehr belästigt!

Sie ging wieder zu ihrem Ledersofa zurück, auf das sie sich setzte, und sah sich die Bilder an, die sie an all die gemeinsamen Erlebnisse erinnerten, die Barbara und sie gehabt hatten.

„Meine Tochter“, hörte sie in ihrem Innersten die vertraute Stimme der Göttin zu ihr

sprechen. „Was grämst du dich wegen deiner Freundin? Du weißt doch, das sie, genauso wie du, wiedergeboren werden wird! Das Leben ist nur ein Teil ihrer Existenz! Ein Hauch, der vorbeigeht! Doch was ewig ist, wie eure Freundschaft, wird auch in einem anderen Leben weiter bestehen!“

„Das weiß ich ja, Mutter“, erwiderte Nora. „Aber trotzdem fehlt sie mir!“

„Trauerst du darum, das sie fort ist, oder darum, dass sie nicht mehr bei dir ist?“

Eine gute Frage, dachte Nora.

Denke ich wirklich mehr an sie, oder mehr an mich und meine Bedürfnisse? Warum traure ich so um sie? Ich weiß doch, das wir alle viele Leben haben!

Sie stand auf, und blickte aus ihrem Fenster.

Ihre Wohngegend lag einsam und verlassen in der dunklen Nacht vor ihr. Sie bemerkte einige Passanten, die mit hoch gezogenem Mantelkragen sich beeilten, an ihre Ziele zu kommen. Sie blickte in den Himmel.

Es war Vollmond!

Zeit, mit Gerlinde und Anna ein Vollmondritual zur Ehren der Göttin abzuhalten, und um ihre Energien zu erneuern.

Plötzlich bemerkte sie, wie der Mond begann, sich dunkelrot zu färben.

Die Nacht der Dämonen, durchzuckte sie ein Gedanke.

Ich muss sofort Gerlinde und Anna anrufen! Es wird in dieser Nacht für uns viel zu tun geben!

Gerlinde fühlte sich müde.

In der letzten Nacht hatte sie kaum geschlafen, und auch während des Tages fand sie nicht ihren gewohnten Schlafrhythmus. Und dann konnte sie doch ein wenig schlafen.

Sie träumte.

In ihren Träumen waren Dämonen, die sie vernichten wollten. Vernichten, weil sie eine Dienerin der Göttin war.

Sie blickte sich aus ihrem breiten französischen Bett in ihrem Schlafzimmer um, das sie seit zwei Tagen nicht mehr aufgeräumt hatte. Kleidungsstücke und frisch gewaschene Bezüge lagen wie ein Gemälde von Dali oder Picasso wirr durcheinander auf dem Fußboden, in schönster Eintracht mit einer alten Pizzaschachtel, in denen zwei Pizzastücken lagen.

Der unangenehme Duft alter Socken drang an ihre Nase, und erinnerte sie daran, dass heute Waschtag war.

Aber sie wollte nicht aufstehen!

Ihr ganzer Körper fühlte sich matt und müde an, zu schlapp, um auch nur einen Schritt aus ihrem Bett zu gehen. Ihre Hände gingen nach hinten, und umfassten die runden Messingstangen ihres Bettes. Sie spürte deren Kälte, und vorsichtig zog sie ihre Hände wieder unter ihre Bettdecke zurück.

Plötzlich umhüllte sie eine Angst, die ihr schier den Atem nahm, und ihr vor Angst pochendes Herz zuschnürte. Eine Angst, die sie sich nicht erklären konnte. Eine Angst, die sie als sehr real erlebte.

Sie blickte zu ihrem Computer, der in der Nähe des Bettes am Fenster stand.

Er war aus, kein Stromfunken durchflutete das Gerät, und doch spürte sie, das mit diesem Gerät etwas nicht stimmte. Jedoch konnte sie nicht sagen, was es war.

Das Telefon klingelte.

Mit einer raschen, eleganten Bewegung einer Direktionsassistentin nahm sie den Hörer ab, und fragte: „Hier ich, wer ist denn da?“

„Gerlinde, lass den Quatsch“, hörte sie die vertraute Stimme Noras. „Es gibt ein verdammt großes Problem. Der Mond färbt sich rot!“

„Scheiße“, entfuhr es Gerlinde!

Sie wusste genau, was das bedeutete!

Die Macht des Bösen sammelte sich wieder einmal, um das Gute zu zerstören. Dämonen fuhren in die Körper sterblicher Menschen beiderlei Geschlechts, um sie dazu zu bringen, Leid und Gewalt über die Menschheit zu bringen. Und besonders Frauen waren in dieser Nacht das bevorzugte Opfer der Dämonen!

„Weiß Anna schon Bescheid“, fragte sie Nora?

„Noch nicht! Ich wollte sie nach dir anrufen. Am besten ist, du machst dich schon einmal fertig, und ich komme dich mit Anna dann gleich abholen!“

„Okay“, sagte Gerlinde.

Plötzlich war ihre Müdigkeit wie weggeflogen.

Sie legte auf.

Mit raschen Schritten ging sie in ihr Bad, und duschte sich. Sie zog ihre schwarze Lieblingsjeans mit den silbernen Noppen an, dazu ein rotes Holzfällerhemd und ein Halstuch, das aus rotgelbem Baumwollstoff gemacht wurde. Sie schlüpfte in ihre schwarzen Lederslipper, nachdem sie ihre Socken angezogen hatte. Dann ging sie zu ihrem Wohnzimmerschrank, und öffnete eine Geheimtür, die sich knarrend öffnete.

Das Buch der Schatten lag darin.

Sie nahm es heraus, und steckte das Buch der Schatten in eine lederne Umhängetasche.

Dann schnappte sie sich ihre braune Lederjacke, und fünf Minuten später stand sie auf der Straße, und wartete darauf, das ein Wohnmobil mit Anna und Nora um die Ecke kam, und sie einsteigen konnte.

Der Wasserkessel pfiff einen durchdringenden Ton.

Anna ging in die Küche, stellte den Gasherd aus, und goss ein wenig des heißen Wassers in eine Teekanne. Dann schüttete sie das Wasser aus der Kanne in das Spülbecken, und gab ein Teesieb mit feinstem englischem Earl Gray in die Kanne. Sie goss das Wasser über das Sieb, und schloss den Deckel der Kanne.

So, nun muss der Tee noch zehn Minuten ziehen, dachte sie. Zeit also für ein kleines bisschen Entspannung durch Gymnastik.

Sie machte das Radio an.

Sanfte Popmusik der 80er Jahre ertönte, und sie begann, sich rhythmisch im Takt der Musik zu bewegen. Ihre Arme schwangen hin und her, ihr Kopf drehte sie nach allen Seiten; und ihre Hüfte kreiste wie bei einer Bauchtänzerin, deren Becken sich im Rhythmus der Musik hin und her, vor und zurück, in alle Richtungen bewegte.

Der Tee müsste jetzt fertig sein, dachte sie, als sie erschöpft einen Blick auf ihre Armbanduhr warf.

Sie beendete ihre Übungen, und ging zurück in ihre Küche. Mit einer geübten Bewegung nahm sie das Teesieb aus der Kanne heraus, ohne das ein Tropfen des Tees auf den Tisch oder den Boden fiel. Anna nahm eine Tasse, und legte zwei Stück braunen Kandiszucker hinein, und goss ein wenig des Tees in die Tasse. Sie wartete, bis der Kandis sich gelöst hatte, und goss bis zur unteren Kante der Tasse Tee hinein. Ein kleiner Schuss Milch vervollständigte die Tasse englischen Tees, die Anna begann, mit Genuss und mit langsamen Schlucken zu trinken.

Das Telefon klingelte.

Mist, gerade wo ich es mir gemütlich mache, werde ich gestört, entfuhr ihr ein Gedanke. Wenn das nicht wichtig ist, dann wehe!

Sie stand auf, und ging in ihr Wohnzimmer, wo sie den Hörer abnahm.

„Ja, wer ist da“, fragte sie?

„Ich bin’s Anna, Nora“, hörte sie am anderen Ende der Leitung die vertraute Stimme der

Frau, in die sie sich verliebt hatte. Eine Frau, die viel jünger als sie war, und bisher nur Beziehungen zu Männern hatte.

„Was ist?“

„Der Mond hat sich rot gefärbt, Anna. Und du weißt ja, was das bedeutet, besonders für uns bedeutet!“

„Nur zu genau, Schwester! Nur zu genau!“

Ihre Gedanken wanderten zu dem Tag zurück, als ihre Mutter, ebenfalls eine Hexe, ihr einmal erzählte, wie sie die Nacht erlebte, als der Mond sich blutrot färbte. Wie Dämonen aus den Häusern kamen, und versuchten sie und ihre Mithexen zu fangen, die früher einmal die Macht der drei Hexen waren. Sie überlebten diese Nacht nur dadurch, dass sie ihre Kräfte und ihr gesamtes Wissen einsetzten, und die Hilfe einer Hexe bekamen, die vor vielen Jahrhunderten verstorben war.

„Wir müssen etwas tun, Anna“, sagte Nora, und Anna hörte, wie sie, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, auf den Tisch schlug.

„Du hast recht, ich bin in einer halben Stunde fertig“, sagte Anna, und legte auf.

Mist, diese blöden Dämonen verderben mir auch noch meinen Earl Gray, dachte sie. Und das werden sie mir büßen!

Sie ging in ihr Schlafzimmer, und stellte sich vor der großen Spiegeltür ihres Schlafzimmerschrankes, und betrachtete sich.

Na, ein wenig Wasser, etwas Haarkämmen und frische Klamotten, könnten Wunder bewirken, überlegte sie, und zog ihren roten Schlafanzug aus. Dann ging sie in ihr Badezimmer.

Ihr leicht voluminöser Körper spiegelte sich im Schatten der Badezimmerlampe wieder, deren Schein einen Schatten auf die linke Wand ihres Badezimmers geworfen wurde, in dem sie stand. Sie öffnete die gläserne Tür ihrer Dusche, und wenige Augenblicke später fühlte sie, wie das warme Wasser ihrem Körper herunterlief.

Sie liebte es, zu duschen, und sich danach trocken zu rubbeln. Die Haut wird dabei durchblutet, und wie sie fand, auch sexuell stimuliert.

Wenige Minuten später hatte sie sich abgetrocknet, und ihre kurzen Haare gefönt, sich die Haare gekämmt und ging dann zurück zu ihrem Schlafzimmerschrank, den sie öffnete.

Was zieh ich bloß an, überlegte sie?

Sie entschied sich für ihre braune Hose aus Wildleder, ihre schwarze Westenbluse mit den Fransen und der Perlenstickerei, und ihren heißgeliebten braunen Cowgirlstiefeln, in die sie sich mit etwas Mühe hineinzwängte.

Sie nahm ihre schwarze Fransenlederjacke aus Kuhleder, und zog sie an. Ein Blick durch ihre Wohnung versicherte ihr, das alles in Ordnung war, und sie verließ ihre Wohnung. Dort wartet sie auf Nora und Gerlinde, die sie abholen sollten.

Die drei Männer in der Höhle hatten sich umgezogen.

Sie trugen alle ein rotes Gewand ohne Ärmel, in deren Mitte ein Pentagramm und ein umgestürztes Kreuz zu sehen war.

Friedrich, der Älteste der drei Männer, hob ein langes Schwert in die Höhe.

„Wir rufen dich, Hanim, König der Unterwelt, Herrscher des Bösen und Meister der Dunkelheit. Erhöre unser Rufen, unser Flehen nach deiner Führung in dieser Nacht, oh Meister Hanim“.

Nick und Heinrich, die beiden anderen Jünger des Dämons, fielen in dieses Gebet des Bösen ein, und summten dazu ein Mantra, ein sich widerholendes Gebet der Kraft des Bösen.

Aus der Spitze des Schwertes drang ein dünner Rauch, der sich seinen Weg aus der Höhle in

die Dunkelheit der Nacht suchte, und gen Himmel flog. Dort sammelte er sich, und fuhr in gebündelter Form wieder in die Höhle, wo er sich zu einer Gestalt des Dämons veränderte.

Friedrich senkte, als er den Dämon erblickte, das Schwert, fiel auf die Knie und senkte seinen Kopf.

„Meister Hanim“, sagte er leise. „Willkommen in deinem Reich!“

„Willkommen in deinem Reich“, wiederholten Nick und Heinrich, und warfen sich auf den Boden der Höhle.

Zufrieden lächelte Hanim.

Drei willige Diener des Bösen, dachte er. Drei Diener, die das tun werden, was ich will, und drei Diener, die meine Macht vergrößern werden.

„Was sollen wir tun, Meister“, fragte Friedrich?

„Ihr kennt die drei Hexen, die uns immer wieder stören?“

Die drei Männer nickten.

„Wir werden sie töten. Langsam töten! Wir werden sie mit ihren Ängsten konfrontieren, und sie damit so lange quälen, bis sie daran zugrunde gehen.“

„Und wie sollen wir das tun, Meister“, fragte Nick, der jüngste der drei Männer?

Hanim sagte es ihnen.

Gerlinde wartete auf das Wohnmobil, das sie abholen sollte.

Die Straße war fast menschenleer, bis auf einen betrunkenen Mann, der sich torkelnd von ihr entfernte, und einer alternden Prostituierten, die auf Kundschaft wartete, die nicht kam. Gerlinde hatte sie schon oft dort stehen gesehen, allein, und nach billigem Fusel riechend. Sie trug eine billige blonde gewellte Perücke, die ihr eckiges Gesicht noch mehr herausstellte, als es gut für sie war. Ihr Gesicht war stark geschminkt, und ihr kurzer Rock aus billigen Nappaleder verdeckte nur unzureichend ihre massige Hüfte und ihren Bauch.

Sie lächelte Gerlinde an. Gerlinde lächelte zurück.

„Kalte Nacht heute“, sagte die Prostituierte.

Gerlinde nickte.

Sie merkte nicht, wie ein feiner Rauch aus der Dunkelheit einer Seitenstraße auf sie zukam, und sie umhüllte. Sie merkte auch nicht, wie sie auf den Boden fiel, und die schwarze Umhängetasche aus ihrer Hand glitt.

Zwei vermummte Gestalten in einem dunklen Lieferwagen bogen um die Ecke, hielten kurz vor der auf dem Boden liegende Gerlinde an, und packten sie mit Hilfe eines dritten vermummten Mannes in den Wagen. Sie hoben die lederne Umhängetasche Gerlindes auf, und warfen sie in den Wagen. Mit einem lauten Knall schlossen sie die Tür des Lieferwagens, und mit quietschen Reifen fuhren sie fort.

Anna hatte, bevor sie nach unten auf die Straße ging, noch ein Brot mit Käse gemacht, das sie auf der Straße aß, während sie wartete.

Unterwegs war ihr ein älterer Mann begegnet, den sie seit langem kannte. Er wohnte im selben Haus wie sie, war Witwer, und lebte mit seinem Cockerspaniel Max alleine in seiner Wohnung. Er hieß Heinrich Gast, und sie mochte ihn.

„Na, so spät noch unterwegs, Frau Weber“, fragte er?

„Ja, weil ich noch so viel zu tun habe, in dieser Nacht!“

„Na, dann Bon Chance“, Frau Weber“, sagte ihr Nachbar.

„Kann ich gut gebrauchen“, sagte Anna, und drückte seine Hand zum Abschied.

Sie hatte sich umgedreht, und ging zum Straßenrand, wo sie auf Nora wartete.

Herzhaft biss sie in das Vollkornbrot hinein, das mit einer Scheibe Schweizer Käse belegt hatte. Langsam kaute sie, denn sie wusste, wie gut das zerkleinern der Mahlzeit für die Verdauung ist.

Sie merkte nicht, wie ihr Nachbar sich an sie schlich, und ihr die Spitze einer Spritze in den

Hals rammte, und die Spritze in ihrem Blutkreislauf entlehrte. Anna blickte sich um, und

blickte erstaunt und voller Entsetzen in das grinsende Gesicht ihres Nachbarn.

„Nun bist du dran, verdammte Hexe“, sagte er. „Wenn Hanim und wir mit dir fertig sind, wirst du dir wünschen, zu sterben. Und dann wirst du sterben, Hexe!“

Anna fiel zu Boden.

Ein dunkler Lieferwagen bog um die Ecke, zwei Männer stiegen aus, vermummt und ganz in Schwarz gekleidet. Sie hoben Anna in den Wagen hinein, in dem schon Gerlinde lag.

„Macht schnell, wir haben nicht viel Zeit“, sagte Heinrich.

Er stieg in den hinteren Teil des Lieferwagens ein, und sie fuhren mit einem schnellen Start los.

„Mist, warum springt diese verdammte Karre nicht an“, sagte Nora, und drehte den Zündschlüssel des Wohnmobils zum achten Mal erneut im Zündschloss um.

Das hatte sie noch nie erlebt!

Das Wohnmobil, das die Göttin ihnen für ihre Arbeit als Hexen gegeben hatte, hatte bis jetzt immer funktioniert, und niemals Probleme gemacht.

Und plötzlich streikte der Wagen!

Und das in einer Nacht wie dieser, überlegte sie. Das kann doch kein Zufall sein!

Da stecken bestimmt Dämonen dahinter, die verhindern wollen, das wir ihnen in die Quere kommen!

„Nooora“, hörte sie eine Stimme, die entfernt klang. „ Ich komme dich gleich hoooooooooooolen!“

Die Stimme?

Aber das kann doch nicht sein!

Woher soll den Nick wissen, wo das Wohnmobil der Göttin versteckt ist? Noch nicht einmal Anna und Gerlinde wissen, wo das Wohnmobil steht , und die stehen meinem Herzen weit näher als Nick, dieser Arsch!

Aber wenn ich die Stimme von Nick in so einer Nacht höre, dann kann das nur eines bedeuten, überlegte sie. Er ist ein Diener des Dämons, wie Anna und ich schon vermutet hatten.

Sie drehte den Zündschlüssel des Wohnmobils erneut um.

Keine Reaktion, nicht einmal ein leises Stottern des Motors.

„Suchst du das hier“, sagte Nick, und stand plötzlich vor ihrer Frontseite. Er hielt ein abgeschnittenes Kabel hoch, triumphiert lächelnd, und sagte: „ Jetzt haben wir dich, Hexe!“

„Noch nicht, mein Lieber“, stieß sie wütend hervor, und hob ihre Hand.

„Aber, aber Nora! Das würde ich nicht an deiner Stelle tun“, sagte er. „Wir haben nämlich schon deine beiden Freundinnen gefangen. Und wenn du nicht das tust, was WIR wollen, dann werden sie sterben!“

Er hob beide Hände, klatschte einmal, und breitete die Hände aus. Nora sah ein Bild eines Lieferwagens, wo zwei vermummte Männer in schwarz gekleidet im Font eines Lieferwagens saßen; und ein Mann im Hinterraum des Wagens Anna und Gerlinde mit einer Pistole bedrohte. Ihre Freundinnen waren gefesselt und anscheinend bewusstlos.

„Sie werden in wenigen Minuten hier sein, und bis dahin kannst du dich entscheiden, ob du mit ihnen oder allein sterben wirst, denn sterben wirst du in jedem Fall! Allein schon dafür, das du dich damals gegen mich gewehrt hast, Hexe!“

„Wenn ich also sowieso sterben soll, Nick, wenn Nick überhaupt dein richtiger Name ist; wenn ich also sowieso sterben soll, weshalb soll ich euch dann euren Willen erfüllen?“

„Weil du, weil ihr dann einige Minuten länger leben dürft!“

„Zu gütig, Nick! Wirklich großzügig!“

„Nicht war, Hexe! Eigentlich zu großzügig für dich, aber Hanim wollte es nun einmal so, und sein Wille ist mir Befehl!“

Hanim!

Der Dämon, der meine Mutter getötet hatte, durchzuckte sie ein Gedanke!

Der will mich lebend?

Warum?

Will er mich so quälen, wie er meine Mutter gequält hatte?

Will er uns alle zerstören, damit es nie wieder die Macht der drei Hexen geben kann, weil keine Hexe den Mut hat, gegen ihn und seine Diener zu kämpfen?

Ein schwarzer Lieferwagen wurde in der Ferne sichtbar, und kam immer näher.

„Da sind sie, Hexe“, sagte Nick. „Also, wie hast du dich entschieden?“

„Ich werde mit euch kommen!“

„Braves Hexlein“, sagte Nick. „Dann steig aus, damit ich dir eine Spritze geben kann. Denn wohin die Reise geht, sollt ihr nicht mitbekommen, falls der sehr unwahrscheinliche Fall doch eintreten sollte, das eine von euch fliehen kann!“

Nora öffnete die Tür des Wohnmobils, und stieg aus.

Ihr weiter schwarzer Faltenrock verfing sich an einem hervorstehenden Stück Metall, und riss ein wenig ein. Nora achtete nicht darauf, und schloss die Tür des Wohnmobils.

Nick kam auf sie zu, eine Spritze in seiner Hand. Er grinste.

„Gleich wirst du ein wenig schlafen, Hexe“, sagte er. Während er die farblose Flüssigkeit aus der Spritze in ihre Vene jagte, sah er, wie zwei vermummte und schwarz gekleidete Gestalten aus dem Lieferwagen stiegen.

Sie kamen auf ihn zu, und hielten Nora fest, als diese in sich einsackte.

„Macht schnell“, sagte er. „Wir müssen die Zeit nutzen, und in der Höhle sein, bevor sie aufwachen!“

Die zwei Männer nickten.

Mit raschen, geübten Bewegungen warfen sie Noras leblos erscheinenden Körper in den Lieferwagen, und schlossen die Tür.

Nick beobachtete, wie sie fortfuhren, und stieg dann in seinen Mercedes ein, und folgte ihnen.

In seinem wagen saß Hanim.

Er grinste.

Sie wussten nicht, was ihnen mehr schmerzte.

Der Kopf, der wie ein riesiges Hornissennest dröhnte, die Knochen, die wie Gummi waren, oder die Muskeln, die ihnen ihren Dienst versagten.

Sie blickten sich gegenseitig an.

Sie waren alle gefesselt, und hatten einen dicken Knebel im Mund.

Noras Körper lag auf einem hohen Stein, deren eisige Kälte sie nicht spürten, während Anna und Gerlinde auf dem Boden lagen.

Nora blickte sich um.

Doch sie konnte nichts sehen. Alles war dunkel, dunkel und kalt.

Anna versuchte, sich darauf zu konzentrieren, aus ihrem Körper zu treten, doch es gelang ihr nicht.

Also muss hier irgendwo ein Pentagramm des Bösen sein, das unsere Kräfte neutralisiert, überlegte sie, während sie sich umdrehte.

Aber sie konnte nichts entdecken.

Eine Tür öffnete sich, und der fahle Lichtschein einer Kerze erhellte ein wenig den Raum. Ein Mann in mittleren Jahren kam auf die Frauen zu, packte Anna, zerrte sie hoch, und sagte: „ Du bist dran, Hexe!“

Schmerzvoll stöhnte sie auf, als der Mann sie an ihren gefesselten Händen packte, und zur Tür

schleifte. Sie spürte, wie ihr Körper zu einer einzigen fleischigen Masse wurde, den sie nicht mehr fühlte.

Wenige Augenblicke später, die ihr wie Stunden erschienen, standen sie vor dem Eingang einer weiteren Höhle, indem zwei weitere Männer auf sie warteten. Den Älteren der beiden Männer kannte sie nicht, doch der Jüngere kam ihr bekannt vor.

Verdammt, woher kenn ich den bloß, überlegte sie, doch ihr Gedächtnis schien ihren Dienst zu versagen. Irgendwo hab ich den schon einmal gesehen. Wo nur?

„Da ist sie ja, die Hexe“, sagte der Ältere. „Dann können wir ja beginnen!“

Er kam auf Anna zu, in der Hand eine Karraffe aus Kupfer, deren Griff konisch geformt war.

„Nun, trink Hexe! Trink, und du wirst in der Hölle deiner selbst sein!“

Der mittlere der drei Männer band ihr den Knebel ab, und versuchte, ihren Mund gewaltsam mit seinen Händen zu öffnen. Sie biss so kräftig sie konnte zu, und triumphierend vernahm sie seinen Aufschrei.

Der Ältere lächelte.

„Das nützt dir auch nichts, Hexe“, sagte er.

Er setzte die Karraffe an ihre Lippen an, und versuchte, ihr ein wenig von dem Inhalt einzuträufeln. Sie presste ihre Lippen zusammen, und ihre Augen blitzten.

So einfach sollst du das nicht haben, mein Lieber, dachte sie. Ich kann mich schon wehren!

Der Ältere schlug ihr mit aller Kraft auf ihre Stirn. Der Mund öffnete sich ein wenig, und die Flüssigkeit gelangte in ihren Mund.

Das schmeckt ja wie faule Eier, dachte sie, und versuchte, alles aus ihrem Mund hinauszuspucken. Der Mittlere der drei Männer, der, der sie hierhin geschleppt hatte, hielt ihren Mund zu, und drückte auf ihre Kehle. Wenige Augenblicke später sackte sie wie ein nasser Sack zusammen, bewusstlos und chancenlos.

„Sie schläft jetzt“, sagte der Ältere. „Bald können wir mit dem beginnen, was Hanim uns aufgetragen hat“.

Carola Finke ging in ihrem Zimmer auf und ab.

Sie war unruhig.

Ihre Lehrerin Gerlinde hatte sich seit gestern Abend nicht gemeldet, Etwas, was für diese ruhige und absolut pünktlichkeitsliebende Frau unmöglich war. Sie hatte fünfmal auf den AB Gerlindes gesprochen, doch Gerlinde hatte nicht zurück gerufen.

Sie kämmte ihre langen schwarzen Haare durch, und knotete sie mit Hilfe eines Haargummis zu einem Pferdeschwanz zusammen.

Das Telefon klingelte.

Das ist bestimmt Gerlinde, dachte sie, und nahm den Hörer ab.

„Ja, hier Finke“, sagte sie fragend?

„Hier Frau Marek von der Firma Hortanz und Sohn. Frau Finke, ich wollte ihnen nur mitteilen, das wir uns für eine andere Bewerberin entschieden haben.“

Enttäuscht atmete sie tief durch.

Also, wieder nicht Gerlinde!

„Frau Finke?“

„Ja?“

„Ich dachte, sie wären plötzlich weg. Auf jeden Fall wünsche ich ihnen für ihren weiteren Lebensweg alles Gute.

„Danke! Aber können sie mir sagen, woran es gelegen hat?“

Sie hörte, wie ihre Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung tief durchatmete, und dann sagte: „Das lag nicht an ihrer Qualifikation, Frau Finke. Wir hatten nur eine Stelle zu vergeben, und es hatten sich über einhundert Frauen beworben. Und da haben wir halt die genommen, die unserem Image am besten entsprach!“

Also eine Frau, die kindlich aussieht, einen großen Busen hat, damit die Typen sich während ihres Einkaufs ihre Phantasien erträumen können, und dabei ne Menge Kohle da lassen,

dachte sie blitzschnell.

„Vielen Dank, Frau Marek“, sagte sie, ihren Sarkasmus auf den Lippen nur mühsam unterdrückend.

„Gern geschehen“, sagte Frau Marek, und legte auf.

Carola folgte ihr darin.

Sie setzte sich auf ihr braunes Stoffsofa, und heulte.

Scheiße auch, dachte sie! Kein Job, Gerlinde fort, und ich fühl mich so, wie ein mehrfach durchgedrehtes Schnitzel.

„Wo bist du nur, Gerlinde“ sagte sie. „Ich brauche dich so!“

Gerlinde hatte versucht, sich in dem dunklen Raum, in dem sie und Nora eingesperrt waren, aufzurichten. Es gelang ihr nicht, denn die Fesseln waren so eng geschnürt, dass sie kaum Bewegungsfreiheit hatte.

Sie blickte auf Nora, deren Körper auf dem Stein lag, und den sie nur in Umrissen sehen konnte.

Der Knebel in ihrem Mund schmerzte sie. Mit langsamen Bewegungen versuchte sie, dieses ekelige und schmutzige Etwas in ihrem Mund zu entfernen, doch nach wenigen Minuten gab sie entnervt auf.

Nora stöhnte.

Aha, sie ist wach geworden, dachte sie, und blickte sich nach Anna um. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte ihre heimliche Liebe nirgends entdecken.

Sie wurde unruhig.

Lebt Anna noch?

Wo ist sie?

Eine Tür ging auf, und ein junger Mann trat ein, eine Kerze in seiner Hand.

Er ging auf Nora zu, die ihn im hellen Licht der Kerze zu erkennen schien, und erschrocken zurückwich.

„Na komm schon, Nora“ sagte er höhnisch. „ Hanim wartet schon auf dich“.

Er griff ihre Haare, und zog sie daran hoch. Es schien ihm eine Freude zu bereiten, zu sehen, wie Nora voller Schmerz trotz des Knebels in ihrem Mund, aufschrie, wie Gerlinde erschreckt feststellte.

Göttin, sie muss ihn kennen, und sie muss ihn hassen, durchfuhr sie ein Gedanke!

Gerlinde sah, wie der junge Mann Nora über seine Schulter warf, und sie mit raschen Schritten nach draußen trug.

Allein, durchfuhr sie ein Gedanke. Allein und schutzlos!

Und all mein Wissen als Hexe, all mein Wissen aus der Zeit beim Geheimdienst, und all meine Erfahrungen aus Überlebenssituationen können mir nicht helfen!

Und auch die Göttin ist nicht hier, weil sie hier nicht sein kann!

Eine echt beschissene Situation!

Nora lag in einem kleinen Raum, gefesselt und geknebelt.

Nick stand vor ihr, und lächelte.

Dieses Lächeln machte ihr Angst, versetzte sie in Panik, und so zurrte sie an den Fesseln. Sie spürte, wie das Seil sich fester in ihr Fleisch einschnürte, und jede Bewegung ihr mehr und mehr Schmerz bereitete. Dann hörte sie auf, und sah, wie ein anderer Mann den Raum betrat. Er war viel älter als Nick, und trug einen kleinen roten Tonkrug, auf dem verschiedene Schriftzeichen abgebildet waren, die sie nicht kannte.

Nick stellte sich hinter sie, drehte ihren Kopf nach oben, und entfernte den Knebel aus ihrem

Mund.

„Wenn du nicht trinkst, Nora, wirst du es bereuen, das verspreche ich dir!“

Der ältere Mann kam auf sie zu, und führte das Gefäß an ihren Mund.

Wenn ich könnte, wie ich wollte, dann würdest du und mein lieber Ex durch die ganze Höhle fliegen, und erst damit aufhören, wenn jeder Teil eurer Knochen zersplittert wäre, dachte sie.

Aber da ich weiß, wie gewalttätig Nick sein kann, und ich euch beiden ohne magische Kräfte schutzlos ausgeliefert bin, werde ich euer Zeug schlucken.

Sie öffnete den Mund, und der alte Mann flößte langsam den Inhalt des Gefäßes in ihren Mund.

Es schmeckte bitter! Bitter und streng.

Sie wurde müde, und fiel zu Boden.

Jetzt wird sie erst einmal schlafen“, sagte der ältere Mann, und Nick nickte wortlos.

Gemeinsam verließen sie den Raum. Sie wussten, dass nicht geschehen würde, das ihre Pläne durchkreuzen würde.

Carola Finke hörte Radiomusik, und versuchte, sich auf das Buch zu konzentrieren, das ihre Lehrerin Gerlinde ihr empfohlen hatte. Sie konnte sich nicht konzentrieren, und so legte sie das Buch beiseite.

Wo bleibt sie nur, fragte sie sich, und stand auf?

Sie ging in ihr Bad, und blickte in den Spiegel. Ihr ovales Gesicht sah abgespannt und ihre Augen verquollen aus, ein Zeichen der Tränen, die sie vergossen hatte.

Sie zog ihre randlose Brille an, überprüfte den Sitz ihrer Jeans und ihrer roten Bluse, und ging zurück in ihr Wohnzimmer.

Das Telefon klingelte.

Also, für weitere Absagen habe ich jetzt echt keinen Nerv, dachte sie. Und stöpselte das Telefon ab.

„So, endlich etwas Ruhe“, sagte sie zu sich!

Das Telefon klingelte erneut.

Verduzt blickte Carola auf die Schnur ihres Telefons, das immer noch auf dem Boden lag.

Wie kann ein Telefon klingeln, das ausgestöpselt ist, fragte sie sich? Ist doch unmöglich!

Sie nahm den Hörer ab. Vorsichtig sagte sie in den Hörer: „Ja, hier Carola?“

„Carola, erschreck jetzt bitte nicht, und hör mir zu“, sagte die Stimme einer fremden Frau. „Gerlinde, und zwei ihrer Freundinnen sind in höchster Gefahr, und nur du kannst sie retten!“

„Wer sind sie“, fragte Carola“. „Und vor allem, woher wollen sie das wissen?“

„Ich bin die, von der Gerlinde dir immer erzählt hat. Die mit den unzähligen Namen, die doch immer die Eine ist. Die, in dessen Namen Gerlinde und ihre Freundinnen tätig sind, um diese Welt für Frauen ein wenig sicherer zu machen.“

„Die Göttin?“

„Genau, die Göttin“, sagte die Stimme. „Ich habe den Weg über das Telefon für dich gewählt, um dich nicht zu erschrecken, aber als du den Telefonstöpsel aus der Buchse geholt hast, wusste ich nicht, wie du reagieren würdest“.

„Ich dachte, die Göttin weiß alles“, erwiderte Carola. „Und woher soll ich überhaupt wissen, ob sie die Göttin, oder nicht doch eher eine Spinnerin sind?“

„Zu deiner ersten Frage, auch die Göttin weiß nicht alles. Ich weiß mehr als Menschen, aber ich weiß auch nicht alles! Wie du, lerne ich auch jeden Tag dazu. Und was die zweite Frage betrifft, möchte ich dich nur an den Abend erinnern, als du in den klaren Himmel blicktest, an dem die Mondin, das sichtbare Zeichen meiner Existenz zu sehen war. Wie du das Gefühl hattest, das zwischen dir und der Mondin eine Verbindung existierte, und wie dann dein Freund Paul sich hinter dich gestellt hatte, und dich erschreckte.“

Carola war baff!

Außer Paul und ihr wusste niemand davon!

Weder ihre mormonische Familie, noch ihre Freunde, die sie innerhalb und außerhalb dieser Kirche hatte. Auch nicht Julia, ihre beste Freundin seit der PV, der Kindervereinigung der Mormonen. Selbst sie wusste nichts von ihren Gefühlen, die sie damals vor drei Jahren in Düsseldorf hatte.

Sie glaubte der Stimme am Telefon!

„Was kann ich tun, um Gerlinde und ihren Freundinnen zu helfen?“

Die Göttin sagte es ihr.

Gerlinde erwachte.

Auch sie hatte einen Trunk trinken müssen!

Auch sie fiel zu Boden, und wurde ohnmächtig!

Und nun war sie wach. Ihre Fesseln waren fort, und sie blickte sich um.

Der Raum, in dem sie sich befand, kam ihr seltsam vertraut vor.

Links ein großer Bücherschrank, der vollgestopft mit Klassikern der Weltliteratur und Büchern über Kriegsführung war. In der Mitte ein großer Tisch aus massiver Eiche, um den massige Stühle aus Eichenholz standen, deren Sitzflächen aus geflochtenem Bast bestanden. Auf dem Tisch stand eine Holzschüssel mit Obst und eine Flasche französischem Cognac.

Sie kannte die Marke, und auch den Raum erkannte sie wieder!

Sie war im Hause ihres Vaters!

Die Tür, die sich in der hinteren rechten Ecke befand, öffnete sich.

Ein grobschlächtiger Mann in einem schlecht sitzenden blauen Anzug kam herein, setzte sich auf den Stuhl an der Spitze des Tisches, und blickte sich um.

„Da bist du ja, mein Sohn“, sagte er, und deutete Gerlinde, näher zu kommen. „Ich habe lange nichts von dir gehört“, sagte er vorwurfsvoll!

Mein Vater?

Aber, das ist doch unmöglich!

Er ist tot, mausetot! Ich selbst habe ihn doch damals erschossen?!

Verwirrt blickte sie auf ihren vermeintlichen Vater. Mechanisch bewegten sich ihre Füße zu ihm hin.

„Bist du etwa verwirrt, das ich lebe, mein Sohn?“

Gerlinde nickte wortlos und mechanisch, unfähig, auch nur einen Ton zu sagen.

„Nun, das ist auch verständlich“, erwiderte ihr Vater. „Aber warum siehst du wie eine Frau aus, mein Sohn? Geh ins Bad, und wasch dich. Dein Bruder hat noch ein paar Sachen hier gelassen, die kannst du anziehen. Und die Länge deiner Haare, werde ich ausnahmsweise tolerieren! Aber das nächste Mal sind sie militärisch kurz!“ Seine Stimme erhob sich drohend. „Hast du mich verstanden, mein Sohn?“

Wortlos nickte Gerlinde.

„Sprich, wenn ich mit dir rede, du Faulpelz!“

Ein kräftiger Schlag traf sie mitten ins Gesicht. Sie fiel zu Boden, wo sie einige Sekunden liegen blieb.

Ihr Vater stand auf.

Sie spürte seine Tritte, den Schmerz gegenwärtiger und vergangener Pein, bis sich ihre Augen schlossen.

Sie versetzte sich in Trance, und verließ diesen Raum des Schmerzes mit ihren Gedanken. Schon als Kind hatte sie das getan, als ihr Vater sie schlug, sie vergewaltigte und einsperrte. Sie spürte, wie ihr Geist durch Raum und Zeit flog, Raum und Zeit, die sie nur flüchtig wahrnahm.

In der Ferne hörte sie die Stimme der Göttin.

„Halte durch, meine Tochter! Ihr müsst alle durchhalten! Ich habe euch Hilfe geschickt, Hilfe, von denen die Dämonen nichts wissen!“

„Mutter“, sagte Gerlinde, „was soll das bedeuten? Warum bin ich bei meinem Vater? Warum spüre ich seine Schläge und Tritte, wo er doch tot ist?“

„Sein Körper ist tot, meine Tochter, aber sein Geist ist ein Diener Hanims! Und ich glaube, das er das schon war, als er lebte! Aber das ist jetzt nicht wichtig, meine Tochter! Wichtig ist im Moment nur, das ihr am Leben bleibt, und nicht wahnsinnig wird! Mehr kann ich im Moment nicht für euch tun, denn meine Macht schwindet hier!“

Also das hatten die Dämonen vor, überlegte Gerlinde!

Sie wollen uns wahnsinnig machen, und uns dann töten, oder in den Tod treiben. Wenn wir Selbstmord begehen, oder uns gegenseitig töten, gibt es keine Macht der drei Hexen mehr! Und dann haben die Dämonen und Hanim gewonnen! Nee, das werde ich nicht zulassen. Wenn ich nur Nora und Anna sagen könnte, was ich durch die Göttin weiß?

Gerlinde versuchte, sich zu konzentrieren, doch sie konnte mit Hilfe ihrer Gedanken keine der Frauen erreichen.

Frustriert versuchte sie, den Schlägen und Tritten ihres Vaters weiter zu entgehen, indem sie noch tiefer in die Trance einstieg.

Doch auch das schien ihr nicht zu gelingen.

Sie spürte, wie etwas ihre Hose auszog, und tief in ihren Darm eindrang.

Er vergewaltigt mich wieder, durchzuckte sie ein Gedanke!

Dieses verdammte Schwein vergewaltigt mich wieder!

Na, mein Sohn. Hast du das nicht auch so sehr vermisst, wie ich“, hörte sie ihren Vater höhnisch sagen?

Sie sagte nichts.

Er schlug sie, und diesmal spürte sie seine gewaltsam ausgeführten Schläge. Die Trance hatte aufgehört, ihr zu helfen, aus diesem Zustand zu entfliehen.

„Sag doch, das es dir auch gefällt, mein Sohn, sag es!“

Er schlug sie erneut. Seine Schläge prasselten wie Maschinengewehrfeuer auf ihren Körper und ihre Seele. Erinnerungen längst vergangener und verdrängter Tage kamen in ihre Erinnerung. Erinnerungen, die zu schwer für ihren Geist waren.

Sie wurde ohnmächtig.

Nora wachte wie aus einem tiefen Schlaf auf.

Sie spürte, dass sie nicht mehr gefesselt war, und blickte sich, nachdem sich ihre Augen an die gleißende Helligkeit um sie gewöhnt hatte, um.

Sie sah durch die Helligkeit die sie umgab, fast nichts, nur schemenhaft die Umrisse verschiedener Formen.

Dann wurde das Licht geringer, und Noras Augen erblickten einen Raum, den sie seit ihrer frühesten Kindheit nicht mehr gesehen hatte.

Ihr Kinderzimmer.

Ein Raum mit einem kleinen Bett, das runde Gitterstäbe aus Holz an beiden Seiten hatte, die ihre Mutter jedes Mal abnahm, wenn sie an ihr Bett kam, und sie herausholte. Sie erinnerte sich an die mit lustigen Kindermotiven bedruckten Kopfkissen und Bettbezüge, und an den Geruch der Matratzenauflage, die aus Gummi bestand.

An was sich Menschen doch aus ihrer Kindheit alles noch erinnern können, überlegte sie. Einfach erstaunlich!

Auf dem Kopfkissen, auf dem ein kleiner Teddybär aufgedruckt war, lag „Herr Huber“, wie Nora ihr Stoffnilpferd liebevoll genannt hatte.

Stofftiere, Puppen und weiteres Spielzeug lagen aufgeräumt und in Reihen gelegt in den vielen Regalen, die, wie sie sich erinnerte, von ihrer Mutter selbst gemacht wurden.

Plötzlich hörte sie, wie ein kleines Mädchen hinter ihr weinte.

Sie drehte sich um.

Ein kleines Mädchen, etwa vier Jahre alt, und mit schwarzen langen Haaren, die offen bis auf ihre Schulter fiel, stand vor ihr. Sie trug ein Kinderdirndl aus blauen Leinen und einer weißen Schürze, dazu weiße Lackschuhe.

Sie sah Nora nicht, und Nora fühlte, dass ihr dieses kleine Kind so bekannt vorkam. Plötzlich zog ein unsichtbarer Sog sie zu diesem Kind hin, und sie fühlte, wie beide sich miteinander verschmelzten.

Plötzlich erinnerte sie sich wieder, wer dieses kleine Kind war!

Sie selbst!

Ein Mann in einem dunkelblauen Anzug betrat das Zimmer. Er hatte pechschwarze Haare, die sich eng an sein ovales Gesicht schmiegten. Seine dunklen Augen blickten sie lächelnd an. Er griff mit seiner rechten Hand in seine Jackentasche, und holte etwas sehr Kleines hervor, und kam auf ihr zu.

„Herzlichen Glückwunsch zu deinem vierten Geburtstag, meine Tochter“, sagte er. Er öffnete seine Hand, und Nora sah eine kleine Kette, an deren Ende ein kleiner Delfin war.

„Das wird dich beschützen, meine Tochter“, sagte der Mann zu ihr, und lächelte. Er strich mit einer kurzen, flüchtigen Bewegung über ihr Haar, und Nora sah, wie sein Blick plötzlich traurig wurde.

„Du musst gehen, Schatz“, hörte sie die Stimme ihrer Mutter aus dem Nebenraum, dem Wohnzimmer, sagen.

„Ich weiß, Liebste! Aber es fällt mir schwer, euch zu verlassen. Wenn sie je herausfinden würden, das wir uns lieben, und ich euch manchmal geholfen habe, würden sie uns alle töten!“

Ihre Mutter kam in ihr Kinderzimmer herein.

Sie ist wunderschön, dachte sie!

Und sie riecht so gut nach Veilchen!

Sie konnte ihren Blick nicht von ihrer Mutter lassen.

Ihren langen dunklen Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und mit einem Gummi festgebunden hatte, ihr ovales Gesicht, das bis auf ein wenig rotem Lippenstift, ungeschminkt war. Sie trug ein dünnes rotes Cocktailkleid, deren Spagettiträger lose an ihren Oberarmen herunterhingen.

Sie ging auf den Mann zu, umarmte und küsste ihn leidenschaftlich, und Nora sah die Liebe, die zwischen ihrer Mutter und dem Mann herrschte.

Das also ist mein Vater, überlegte sie. Der Mann, über den meine Mutter nie sprechen wollte. Was wohl geschehen war, dass sie nicht mir von ihm erzählte?

Ihre Mutter und ihr Vater umarmten sich.

Ihr Vater drehte sich um, und winkte ihr mit seinen Fingern zu. Dann verließ er ihr Zimmer, und sie spürte den Schmerz, den beide Eltern bei dieser Trennung empfunden hatten.

Carola Finke saß in einem Wohnmobil, der ihr die Göttin gezeigt hatte. Er lag versteckt in einer zerfallenen Scheune in mitten eines langen Waldstücks, der in der Nähe von Berlin lag.

Der Zündschlüssel steckte.

Sie drehte ihn um, und der Motor des Wohnmobils schnurrte leise wie eine Katze. Sie zog die Kupplung etwas hoch, drückte leicht auf die Bremse, stellte den ersten Gang ein. Der Wagen fuhr los.

Sie wusste, wohin sie fahren musste, da die Göttin ihr den Weg genau beschrieben hatte, und da sie einen guten Orientierungssinn hatte, machte sie sich keine Sorgen, den Weg nicht zu finden.

Allerdings machte sie sich um etwas anderes sehr große Sorgen!

Gerlinde!

Ihre Lehrerin und, wie sie spürte, auch ihre Freundin!

Die Göttin hatte ihr erzählt, das Gerlinde mit zwei anderen Frauen zusammenarbeiten würde, um Frauen zu helfen, und das alle drei Frauen von Dämonen gefangen worden sind, die sie töten wollen.

Etwas in ihr weigerte sich, all das zu glauben, was sie von der Göttin erfahren hatte.

Das die Göttin wirklich existierte, und kein Wunschbild war, hatte sie mittlerweile schon akzeptiert.

Aber Dämonen?

Die kannte sie nur aus Horrorschockern im Kino oder Fernsehen, oder von Stephen King, ihrem Lieblingsautor, deren „Christine“ ihr lange Zeit eine panische Angst vor amerikanischen Autos bescherte.

Sie sah ein Straßenschild, das ihr sagte, dass sie soeben das Land Brandenburg verlassen, und in Mecklenburg-Vorpommern gerade angekommen war.

Jetzt muss ich aufpassen, das ich die Abzweigung nicht verpasse, überlegte sie. Denn sonst verliere ich kostbare Zeit!

Die Straße war fast menschenleer, bis auf einen Lastwagen, der mit dem Namen einer Lebensmittelkette fuhr, und der auf der linken Spur unterwegs war. Sie beschleunigte ihr Tempo, und versuchte, den anderen Wagen rechts zu überholen.

Wenn das mein alter Fahrlehrer gesehen hätte, überlegte sie, hätte er mir wegen dieses Fehlers die Ohren lang gezogen! Gut, das keine Polizei hier ist!

Sie kam nicht vorbei, denn eine Kurve hinderte sie daran. Sie bremste ab, und ließ den Truck vor sich fahren.

„Gut, das du so vernünftig bist, meine Tochter“, hörte sie die stimme der Göttin, an die sie sich nur langsam gewöhnte. „Es wäre schlimm, wenn dir etwas passieren würde!“

Sie fuhr in die Kurve, und sah den Truck, wie er einige Hundert Meter vor ihr in eine Abfahrt von der Autobahn einfuhr.

Ihre Autobahnstraße war frei.

Sie beschleunigte, und im fahlen Licht der spärlich beleuchteten Autobahnlampen, sah sie, das der LKW die Abfahrt genommen hatte, die auch sie nehmen musste. Sie bog in die Ausfahrt ein, und gelangte nach kurzer Zeit auf eine Landstraße, noch spärlicher beleuchtet, als die Autobahn.

Annas Kopf brummte.

Ihre Glieder fühlten sich schwer und unbeweglich an. Nur ihre Augen nahm all das wahr, was sie in ihrer näheren Umgebung sah.

Der Raum, in dem sie sich befand, kam ihr merkwürdig bekannt vor.

Und richtig! Sie erinnerte sich langsam wieder!

Ihr Kinderzimmer in Neukölln, wo sie damals wohnten, als die zwei Jahre dort leben mussten.

Alles sah noch so aus, wie sie es in ihrer Erinnerung hatte.

Aus der Ferne hörte Anna die vertrauten Geräusche des Marktes, der jeden Mittwoch und Freitag seine Pforten öffnete.

Plötzlich umgab sie ein unbestimmtes Gefühl von Angst, das sie sich nicht erklären konnte. Sie spürte, wie ihr Körper sich anspannte, der Schweiß aus ihren Poren lief, und sie sich ängstlich umblickte.

Aber nichts war zu sehen, dass Grund für diese Gefühle hätte geben können!

„Na, erinnerst du dich wieder, meine Tochter“, hörte sie eine Stimme, die wie aus weiter Ferne kommend zu ihr sprach. Ihre Augen verengten sich. Aus der Dunkelheit einer kleinen Ecke kam ein Mann hervor, und grinste. Er hatte schüttere graue Haare, einen massigen Körper, und stark behaarte Oberarme, die durch das dünne weiße Hemd durchschienen. Seine

Hose war sauber und schien frisch gebügelt zu sein, und seine Schuhe blitzten.

Angstschweiß trat aus jeder ihrer Poren, und sie fühlte, wie sie wie gelähmt auf dem Boden

saß. Der Mann kam auf sie zu, küsste sie, so, wie sich Liebende küssen, und sagte: „Na Anna,

erinnerst du dich jetzt?“

Ein Würgreiz, der aus dem tiefsten Innersten ihrer Seele zu kommen schien, suchte sich den Weg nach oben. Sie brach alles aus.

Sie erinnerte sich wieder!

Der Mann, der da vor ihr stand und sie küsste, war ihr Vater!

Unliebsame, längst verdrängte Erinnerungen ihrer Kindheit drangen an ihre Oberfläche. Erinnerungen von Nächten, wo ihr Vater, als sie fünf Jahre alt war, und, kurz bevor ihre Mutter ihre Liebe zu Frauen entdeckte, und sie eine Hexe wurde, in ihr Zimmer kam.

Auch heute noch spürte sie die Angst die sie als kleines Kind empfand, als ihr Vater, bevor er sie vergewaltigte, ihr den Mund zuhielt. Der Geruch des After Shaves, den er damals benutzte, Old Spice, drang in ihre Nase, und setzte sich in ihrem Gehirn fest.

„Was willst du“, fragte sie ihn?

„Dich, mein Schatz“, erwiderte er, und lächelte. „Ich will dir heute wie damals das geben, was du gerne haben wirst!“

Bitter lachte sie auf.

Gerne haben? Seit wann hat es dich auch nur einen Augenblick geschert, was ich empfand, wenn du in mir eingedrungen warst, oder du wolltest, das ich deinen Dödel in den Mund nahm, dachte sie? Der Ekel vor dem Sperma, die Schmerzen, wenn du in mir eingedrungen warst, und die Schuldgefühle, die du mir andauernd eingeredet hattest, damit ich Mutti ja nichts sagte. Besonders diese Schuldgefühle und der Ekel! Wenn Mutti nicht zufälligerweise früher nach Hause gekommen wäre, und gesehen hätte, was er mit mir gemacht hätte, und ihn angezeigt hätte, wäre das jahrelang so weitergegangen!

„Du meinst also, dass es mir Spaß gemacht hat? Das ich es wollte? Das du das Recht dazu hattest, mir etwas „Gutes“ zu tun? Du elender Scheißkerl! Verschwinde aus meinem Leben!“

Sie hatte sich in Rage geredet, und merkte nicht, wie ihre Muskeln sich anspannten, und sie wie ein Tiger bereit zum Stoß war.

„Du willst, dass ich dich verlasse?“

Das Gesicht ihres Vaters versteinigte sich.

„Wenn du willst, dass ich dich verlasse, dann schwör deiner Göttin ab, und diene Hanim! Wenn du das nicht tust, werde ich dich so lange besuchen, bis du wahnsinnig wirst, und dir dein Tod wie eine Erlösung vorkommen wird!“

Darum also geht es, überlegte sie blitzschnell! Wir sollen die Fronten wechseln! Aber nicht mit mir, mein Lieber, nicht mit mir! Ich habe nie vergessen, was du und deinesgleichen mir und anderen Frauen angetan habt!

Sie seufzte.

Wenn doch nur Gerlinde und Nora da wären, und wenn wir unsere Energien verbinden könnten, dann wäre der Spuk längst beendet, dachte sie; und wortlos formten sich ihre Lippen zu einem stillen Gebet, das sie zur Göttin sandte.

Aber sie schien nichts zu hören.

Plötzlich fühlte sie sich verraten und ohne Hoffnung.

„Na, meine Tochter“, fragte ihr Vater. „Wie entscheidest du dich?“

Wie aus einem langen tief Schlaf kommend, erwachte Gerlinde. Sie spürte jeden ihrer Knochen, jeden Muskel, und jede Stelle ihres Körpers, der von den Schlägen ihres Vaters malträtiert wurde.

Sie blickte sich um.

Auch dieser Raum strahlte etwas Vertrautes aus.

Weißgetünchte Wände und an der Decke eine Lampe und ein Mobile aus verschiedenen

Märchenfiguren, die sich leise im Wind drehten. Der Boden war mit einem riesigen grünen

Teppich ausgelegt, auf dem ein Bett, ein Tisch und zwei Stühle standen. An der Wand hing ein mehrstöckiges Bücherregal, vollgestopft mit Jungenbüchern von Karl May bis Jack London, von Hermann Melvilles Moby Dick bis zu den Kriegsbüchern einiger Naziautoren, die ihr Vater ihr zu ihrem 12. Geburtstag geschenkt hatte.

Sie war in ihrem alten Kinderzimmer.

„Na, mein Sohn, bist du endlich aufgewacht“, hörte sie die Stimme ihres Vaters?

Er kam auf sie zu.

Erneut spürte sie die Angst, die sie als kleines Kind spürte, wenn er sie schlug und vergewaltigte.

„Mein Sohn“, sagte er. „ Ich werde dich jeden Tag und jede Nacht besuchen, und mit dir all das anstellen, was du aus deiner Kindheit schon kennst, wenn du nicht Hanim dienen wirst. Dann darfst du auch wie eine Frau aussehen, mein Sohn“

Darum also geht es, dachte sie!

Die Dämonen wollen uns zerstören!

Ich muss jetzt sehr stark sein, um ihnen zu wiederstehen. Ach, wenn die Göttin mir nur helfen könnte!

„Sind sie bald soweit“, fragte Nick, einer der drei Diener Hanims?

„Ja“, erwiderte der Ältere der drei, Friedrich. „Bald haben sie genug Angst oder sind wie Nora so verstört, das sie wollen, das es aufhört“.

„Dann bereite ich den Raum schon einmal vor“, sagte Jochen, der Jüngste der drei Diener Hanims.

Friedrich nickte, und Jochen verschwand.

Was geschieht als Nächstes“, fragte Nick?

„Du wirst diese junge Hexe aufwecken, und ihr sagen, wer ihr Vater ist, und das sie das Blut der Dämonen in sich trägt. Und das sie es bereuen wird, wenn sie sich nicht dazu entschließen wird, freiwillig Hanim zu dienen!“

„Warum muss es freiwillig sein?“

„Weil es sonst keinen Wert hat, Nick! Nur durch das freiwillige „Geschenk“ an Hanim müssen alle Kräfte des Universums den Wechsel anerkennen! Denn sonst könnte Hanim durch die Macht des Universums zerstört werden.“

„Aber Hanim ist doch so mächtig, das niemand ihn zerstören kann?“

„Für Menschen und einzelne Hexen, ja! Aber nicht für die Macht des Universums. Weißt du, es gibt zwischen den Kräften des Universums, den dunklen und den nichtdunklen Kräften, einen Pakt, den niemand ungestraft brechen darf. Und Hanim weiß das. Also versucht er, die Hexen, die uns in der Vergangenheit so oft ins Handwerk gepfuscht hatten, auf unsere Seite zu ziehen. Und er tut das, in dem er die Urängste der drei Hexen benutzt. Und er Wahrheit mit Lüge vermischt. So ist der Vater der jüngsten Hexe wirklich ein Dämon gewesen, aber er starb bei ihrer Geburt. Anna wurde wirklich von ihrem Vater vergewaltigt, aber der war nie Hanims Diener. Und die Transe wurde von ihrem Vater geschlagen und vergewaltigt, aber er war ein Diener Hanims, ein sehr guter sogar, und dazu noch mein Bruder. Also habe ich an der Transe ein besonderes Interesse, denn sie war es, die ihn getötet hatte!“

„Na, dann werde ich mal gehen, und Nora wach machen, um ihr den Schock ihres Lebens zu verpassen“, sagte Nick, und drehte sich um.

„Halt, bevor du sie aufweckst, Nick, denk immer daran, dass sie zwar ihre Hexenkräfte, Dank des Fluches der diese Räume vor der Macht der drei Hexen schützt, nicht mehr nutzen kann, aber immer noch sehr gefährlich ist. Unterschätze sie also nicht!“

„Das werde ich nicht, Friedrich“, sagte Nick, und ging.

Friedrichs Blick wanderte zu einer kleinen schwarzen Tasche aus Leder, die in der Ecke der

Höhle stand. Er grinste.

„Bald wirst du wissen, Transe, was für Schmerzen dir diese Tasche und ich bereiten können!“

Carola blickte auf den Tacho des Wohnmobils.

Sie fuhr zu schnell, das wusste sie, aber sie hatte Angst, zu spät zu kommen.

„Fahr vorsichtig, meine Tochter“ hörte sie die Stimme der Göttin sagen. „ Du wirst noch gebraucht!“

„Ja ja, ich weiß schon“ antwortete sie laut. „Aber ich mache mir Sorgen zu spät zu kommen, und den Dreien, besonders Gerlinde, nicht mehr rechtzeitig helfen kann!“

Sie blickte in den Rückspiegel.

Ein Wagen der Polizei kam mit Blaulicht und Sirene auf sie zugefahren. Aus dem Fenster auf der Beifahrerseite wurde eine rotblinkende Kelle herausgeholt, die sie zum Halten zwingen sollte. Sie verlangsamte ihre Fahrt, und fuhr nach rechts, wo sie dicht vor einer Straßenmarkierung anhielt.

Die beiden Polizisten stiegen aus ihrem Wagen aus, und kamen auf sie zu. Der eine Polizist, der auf der Fahrerseite ausgestiegen war, war jung und schlank, genau der Typ Mann, den  sie immer schon anziehend gefunden hatte. Er hatte kurzgeschnittene blonde Haare und ein ovales Gesicht, mir wundervollen blauenden Augen, den schönsten Augen, die sie je gesehen hatte.

Sein Partner war etwas fülliger und kleiner als sein Kollege. Er hatte kurze aschblonde Haare und graublaue Augen. Seine Uniform saß etwas schief an seinem voluminösen Körper, und er hatte, das sah sie, Schwierigkeiten, mit seinem Partner im Laufen Schritt zu halten.

Der blonde Schönling ging zur Fahrerseite und zeigte Carola an, das sie das Fenster herunterkurbeln sollte, was sie sofort tat.

„Ja, Herr Wachtmeister, was ist den los?“

„Hauptwachmeister bitte schön“, sagte der Schönling. „Hauptwachtmeister Krause, um genau zu sein. Darf ich bitte ihren Führerschein und ihre Fahrzeugpapiere sehen?“

Schweiß trat aus Carolas Stirn.

Mit dem Führerschein wird alles in Ordnung gehen, aber was ist mit den Fahrzeugpapieren, überlegte sie? Da steht doch nicht mein Name drin!

„Mach dir keine Sorgen, meine Tochter! Das ist eines der leichtesten Übungen für mich, und wenn du genug gelernt hast, auch für dich. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Polizisten wirklich Polizisten sind, denn wir sind sehr nah an deinem Ziel. Es können auch Diener von Dämonen sein. Sei also vorsichtig!“

Diener von Dämonen?

In was für eine Scheiße bin ich da nur reingeraten, fragte sie sich?

Ich wollte Abwechslung und was erleben, aber das ist wohl doch to much für mich! Wenn Gerlinde und ihre Freundinnen gerettet sind, werde ich verduften!

„Meine Tochter, jede, die den Ruf der Göttin hört, muss ihm folgen! Sie darf nicht aufhören, für andere Frauen eine Hilfe zu sein, nur, weil es etwas gefährlich wird!“

„Etwas gefährlich? Wenn das wirklich Diener von Dämonen sind, dann habe ich keine Chance! Absolut keine Chance!“

Sie gab dem Polizisten ihren Führerschein, den sie aus der Hosentasche ihrer Jeans herauszog, und griff in die Ablage des Wohnmobils, wo sie nach kurzem Suchen die entsprechenden Papiere fand und sie dem Polizisten übergab.

„Frau Finke“, sagte der Hauptwachtmeister Krause, „wären sie mit einem Verwarnungsgeld von 20 Euro einverstanden?“

Erleichtert atmete Carola auf.

Also, nur ganz gewöhnliche Polizisten und keine Dämonendiener, dachte sie, und atmete tief durch. Eine riesige Last schien von ihrem Körper gefallen zu sein.

„Aber sicher doch, Herr Hauptwachtmeister“, erwiderte sie, und lächelte entspannt. Sie griff

zu ihrer Brieftasche, einem Geschenk ihres Vaters, und holte zwei Zehn- Euro- Scheine

heraus, die sie dem Beamten überreichte. „So, bitte sehr, Herr Hauptwachtmeister“, sagte sie. Sie bemerkte nicht, wie der fülligere Kollege des Schönlings aus der hinteren Ecke des Wohnmobils hervortrat, und seinem Kollegen zuwinkte.

„Entschuldigen sie bitte einen Augenblick, Frau Finke“, sagte der Beamte und entfernte sich zur Rückseite des Wohnmobils.

Wenige Augenblicke später kam er mit seinem Kollegen zu ihr zurück. Sie bemerkte, das sie Augen der beiden Männer rötlich glühten.

„Fahr los, Carola! Das sind Dämonendiener“, hörte sie die Stimme der Göttin fast schreien. Automatisch drehte sie den Zündschlüssel des Wohnmobils um, schaltete den ersten Gang ein, drückte die Kupplung rauf und das Gaspedal herunter; und wehrte den Schönling, der durch das geöffnete Fenster nach ihr greifen wollte, dadurch ab, indem sie seinen Ringfinger brach.

Das Wohnmobil beschleunigte, und Carola Finke verspürte eine Angst und eine Freude, die sie vorher nie kennen gelernt hatte!

Sie hörte erneut die Sirenen des Polizeiwagens, der hinter ihr her fuhr.

„Was soll ich tun, Göttin“, rief sie laut? „ Wie können wir die loswerden?“

„Halt an, meine Tochter, und steige aus!“

„Wie bitte? Bist du irre! Dann schnappen die mich und machen Schaschlik aus mir!“

„Werden sie nicht, denn ich werde bei dir sein, und dir ins Ohr flüstern, was du tun sollst!“

Carola hielt das Wohnmobil an, ängstlich zitternd und in der sicheren Erwartung ihres Todes.

Sie öffnete die Tür ihres Wohnmobils und stieg aus.

Der Polizeiwagen war gerade angekommen, und beide Polizisten stiegen aus dem Wagen aus, ihre Augen rotglühend.

„Was soll das, Hexe? Meinst du, du könntest uns entkommen“, fragte der Schönling, der anscheinend der Wortführer der Beiden war.

Carola stellte sich breitbeinig auf, so, wie ihr die Göttin es gesagt hatte.

„Hexe? Ich bin keine Hexe“, sagte sie mit dem Ton der Überzeugung, mit dem sie in ihrem früheren Leben als Verkäufern schon so manchen Gewinn für ihre Firma gemacht hatte.

„Das kannst du jemand anders erzählen, aber nicht uns, Hexe“, erwiderte der Schönling höhnisch. „Der Wagen ist ein Hexenwagen, und du fährst ihn, also bist du eine Hexe!“

„Was für eine bestechende Logik“, sagte Carola mit dem Ton der leisen Ironie. „Aber zufälligerweise gehört mir der Wagen erst seit kurzem, denn ich habe ihn verlassen aufgefunden, und wollte ihn morgen anmelden!“

„Und die Fahrzeugpapiere? Die liefen doch auf ihren Namen?“

„Gute Arbeit, nicht war? Mein Bruder hat das für mich vor zwei Stunden fertiggestellt, von einem seiner vielen Blankoformulare, die er besitzt. Sie können das ja nachprüfen, meine Herren, mein Bruder ist einschlägig bekannt und vorbestraft“.

Die beiden Polizisten blickten sich an.

Die Geschichte schien ihnen so unglaubwürdig, dass sie wahr sein müsste. Dann grinsten sie. „Gut, wir wollen ihnen diesmal glauben, Frau Finke, denn wenn sie eine Hexe gewesen wären, hätten sie schon längst versucht, uns zu töten. Wir wünschen ihnen also eine gute Fahrt“, sagte der Schönling, und Carola stieg in das Wohnmobil ein.

Sie sah im Rückspiegel, wie die beiden Diener des Dämons in das Polizeiauto einstiegen, und losfuhren. Langsam, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, fuhr sie los.

„Meine armen Nerven“, flüsterte sie. „So viel Angst hatte ich seit langem nicht mehr!“

„Aber es wird noch schlimmer kommen, wenn du erst einmal am Ziel bist“, sagte die Göttin! Denn ich kann dich nicht begleiten, meine Tochter, sondern dir nur sagen, was du tun musst, um alle zu retten. Die Diener des Dämons haben eine Art Schutzkreis um die Höhlen gezogen, so das keine Frau mit magischen Kräften hinein kann, wohl aber eine Frau, die noch

nicht initiiert wurde, und deren magisches Wissen sehr gering ist!“

Und wie soll ich das ohne deine Hilfe tun?“

„Ich sage es dir, wenn wir angekommen sind!“

Nora saß in einem dunklen Raum, und weinte.

Eben hatte ihr ehemaliger Verlobter Nick ihr gesagt, dass ihr Vater der Diener eines Dämons war.

Ich hab Dämonenblut in mir, dachte sie, und fühlte sich verraten und betrogen.

Meine Mutter hat es gewusst, und es mir nicht gesagt! Warum hat sie sich nur mit ihm eingelassen? Gab es nicht andere, die keine Diener von Dämonen waren?

Sie sah, wie sich eine Tür öffnete, und ein Mann in mittleren Jahren den Raum betrat. In seiner linken Hand hielt er eine Lampe, die den Raum ein wenig erhellte. Nora sah, das sie inmitten eines rot aufgemahlten Pentagramms saß, dessen Füße nach oben zeigten.

Ein Fluchpentagramm, durchzuckte sie ein Gedanke! Das uns nicht nur unsere Kräfte blockiert, sondern auch noch den Kontakt zur Göttin unterbricht! In was für einen Schlamassel wir doch stecken! Wenn ich nur wüsste, wie wir da raus kommen?

„Bring sie rein“, hörte sie die Stimme des Mannes, und sah im gleichen Augenblick, wie Nick Anna, gefesselt wie sie, in den Raum brachte und neben sie auf den Boden hinwarf. Anna schrie voller Schmerz auf.

„Schrei nicht so, Hexe“, sagte Nick. „Hier wird dich sowieso niemand hören!“

Beide Männer verließen den Raum, und es wurde wieder dunkel.

„Wie geht es dir, Anna“, fragte Nora?

„Frag mich das nach der Obduktion“, antwortete Anna, und versuchte zu lächeln, auch wenn sie wusste, dass Nora dieses Lächeln nie sehen würde.

„Und dir?“

„Schlecht“, erwiderte Nora. „Sehr schlecht!“

„Wenn ich nur wüsste, wie wir hier rauskommen könnten? Ich würde den drei Typen zu gerne einmal zeigen, wie groß meine Kenntnisse in der Anatomie von Menschen und Dämonendienern sind; weil ich mich bei ihnen für diese nette Einladung auf meine unnachahmliche Art bedanken möchte!“

Anna hörte, wie Nora kicherte.

War es Angst? Oder, weil sie Nora zum Lachen gebracht hatte? Sie wusste es nicht.

„Weißt du, wer dich hereingetragen hat?“

„Nein, aber irgendwie kam der mir die ganze Zeit bekannt vor“, erwiderte Anna. „Kennst du ihn?“

„Mein Ex, Nick“, erwiderte Nora.

„Auch das noch! Bei der Wahl deiner männlichen Partner hast du aber kein gutes Händchen gehabt, Schwester! Na, aber jetzt bin ja ich da, und das kann nur eine Verbesserung für dich sein, oder?“

„Na, an gesundem Selbstvertrauen wirst du wohl nie sterben“, sagte Nora, und, als sie sich ihrerWorte bewusst wurde, entschuldigte sie sich bei Anna.

„Noch ist nicht aller Tage Abend“, sagte Anna mit dem Brustton des Selbstvertrauens, das sie nicht hatte.

Plötzlich wurde Anna ernst.

„Nora, die bösen Jungs wollen uns guten Mädels dazu bringen, die Seiten zu wechseln. Und wenn wir das nicht tun, wollen die uns so lange mit Dingen aus unserer Vergangenheit quälen, bis wir freiwillig wechseln. Und ich meine damit nicht, das wir jeden Tag vierundzwanzig Stunden lang die Wildecker Herzbuben mit ihrem „Herzilein“ anhören müssen, sondern wirklich schweres Kaliber!“

„Ich weiß, Anna. Und bei mir kommt noch etwas dazu, was ich gerade eben erfahren habe,

und was mich so umgehauen hat“.

„Und was war das“, hörte sie Anna fragen?

Ihre Stimme versagte. Sie spürte Schweiß, der ihre Stirn herunterlief, und Angst stieg in ihr hoch.

Wenn Anna und Gerlinde mich wegen meinem Vater verstoßen werden, weil er der Diener eines Dämons war? Wie soll ich darauf reagieren, fragte sie sich? Soll ich es ihr sagen? Oder soll ich nicht besser schweigen? Geht es sie und Gerlinde überhaupt etwas an? Am besten ist es wohl, wenn ich nichts sage, weil es dann auch keinen Stress gibt!

Aber was soll ich jetzt Anna sagen? Sie wartet af eine Antwort, und belügen will ich sie nicht! Göttin, was sag ich ihr bloß?

„Anna, ich muss damit erst einmal selbst klar kommen, und wenn ich soweit bin, wirst du die Erste sein, die es erfahren wird“.

Ich hab nicht gelogen, stellte sie erleichtert fest.

Aber warum konnte ich ihr nicht die Wahrheit sagen? Sie, die meinem Herzen doch so nahe steht. Sie, die ich liebe, aber vor dieser Liebe doch so eine große Angst habe.

Manchmal bin ich eine echte Schisserin!

Gerlinde wurde wach.

Ihr Körper tat überall weh, und ein stechender Schmerz ging durch ihren ganzen Körper. Der Raum, in dem sie sich befand, war hell durch die vielen brennenden Fackeln erleuchtet, und sie merkte, das sie sich in einer Höhle befinden musste, so, wie die Wände aussahen. Ihre Fesseln schmerzten, und schnitten sich tief in ihre Haut ein.

Vor ihr stand ein weißhaariger Mann und grinste sie an.

„Na, endlich wach, Hexe“, fragte er höhnisch?

„Wenn ich mit dir fertig bin, Hexe, dann wirst du für immer schlafen. Du hast meinen Bruder getötet, der dein Vater war. Und du weißt ja, das auf Vatermord der Tod steht, der grausigste Tod, den ich dir bereiten kann. Aber da Hanim dich unbedingt lebend will, werde ich dich nicht töten, Hexe! Aber ich werde dir Schmerz zufügen!“ Er lächelte. „Sehr großen Schmerz!“

Er dreht e sich um, und ging in eine Ecke der geräumigen Höhle, wo einsam eine einzelne Ledertasche auf dem Boden stand. Friedrich hob die Tasche auf, drehte sich um, und kam mit der Tasche in Gerlindes Nähe, wo er die Tasche öffnete. Er holte eine riesige Altalme heraus; deren beiden scharfen Seiten im Licht der Fackeln glänzten. Er legte das Messer beiseite, und griff erneut in die Tasche, wo er ein Brandeisen hervorholte, auf dem dreimal die Zahl sechs zu sehen war.

„Hiermit werde ich dir so viel Schmerz zubereiten, wie du noch nie in deinem Leben verspürt hast“, sagte er, und grinste. „Und da ich will, das deine Freundinnen auch ihre Freude daran haben werden, werden sie sehen, was mit dir geschieht, und was mit ihnen geschehen kann, wenn sie nicht Hanim dienen wollen!“

„Und alles natürlich freiwillig“ spöttelte Gerlinde, und spuckte vor ihrem Onkel aus.

Der Schlag in ihr Gesicht, traf sie unerwartet, schmerzte aber kaum.

„Das ist für deine Unverschämtheit, Hexe“, sagte Friedrich, und rief: „Bringt sie aus meinen Augen zu den anderen. Ich mache das Eisen nur noch heiß, und dann können wir beginnen!“

Carola hielt das Wohnmobil an.

Vorsichtig blickte sie sich um, konnte aber im fahlen Licht des Vollmondes kaum etwas erkennen.

„Wir sind da, meine Tochter“, hörte sie die Stimme der Göttin sagen. „Steig aus, und gehe in den Eingang zur Höhle, den du da oben siehst.“

„Und was soll ich dann tun?“

„Gehe vorsichtig hinein, und versuche, Gerlinde und ihre Freundinnen zu finden. Vermutlich sind sie gefesselt, also nimm aus dem Wohnmobil ein scharfes Messer mit, mit dem du alle drei Frauen befreien kannst. Und dann musst du sehen, das alle drei Frauen gemeinsam mit dir die Höhle verlassen, damit ihre Kräfte wiederkehren können. Und sie sich verbinden können, um die Diener Hanims zu besiegen“.

„Na, das hört sich ja wie ein Kinderspaziergang an“, erwiderte Carola und lächelte ironisch!

„Sei vorsichtig, meine Tochter“, erwiderte die Göttin. „Deine Aufgabe ist zu wichtig, als das du es dir leisten kannst, zu versagen!“

„Ich werde mein Bestes geben“, sagte Carola, aber die Göttin verspürte die Angst, die in ihr steckte.

Plötzlich spürte Carola, wie ein leichter Hauch sie auf ihrer Stirn berührte. „Ich küsse deine Stirn, damit Weisheit deine Gedanken und dein Handeln leitet“, hörte sie die Göttin sprechen. Ein weiterer Hauch schien ihre Hand zu berühren. „Ich küsse deine Hände, damit sie das Rechte tun können, und du Mut und Kraft findest, die zu retten, die dir anvertraut sind“. Ein sanfter Hauch umwehte ihre Füße. „Und ich küsse deine Füße und Beine, damit sie die Kraft finden, ausdauernd zu laufen, und den Weg der Göttin zu beschreiten!“ Carola spürte, wie ein leiser Windhauch ihre Lippen berührte.

„Und für was war das“, fragte sie die Göttin?

„Zum Besiegeln meiner Segnung, und weil ich es liebe, Frauen zu küssen“, erwiderte die Göttin, und Carola meinte, ein sinnliches Lächeln in der Stimme der Göttin zu hören.

Ist die Göttin etwa lesbisch, fragte sie sich für einen Augenblick?

„Sind wir das nicht alle, meine Tochter“, hörte sie die Göttin in ihrem Inneren?

Mist, ich hab schon wieder vergessen, das sie meine Gedanken hören kann, dachte sie voller Schrecken.

„Na, dann auf sie mit Gebrüll“, sagte Carola, und machte sich, nachdem sie zwei große Fleischmesser in ihren Gürtel gesteckt hatte, auf den Weg zum Eingang der Höhle.

Der Weg war etwas beschwerlich für sie, und das leise zirpen einer Grille, das aus weiter Ferne zu kommen schien, nervte sie. Ihr Blick ging zum Himmel, wo ein einsamer Habicht seine Kreise zog, und klagend in den Nachthimmel schrie. Er schien sie zu beobachten, und jedes ihrer Schritte zu verfolgen. Dann stieß er auf sie hernieder, einen Schrei ausstoßend, der selbst Tote aufgeweckt hätte. Der Habicht flog direkt auf sie zu, und panische Angst ergriff sie. Schützend hob sie ihre Hände vor ihr Gesicht, und erwartete den Angriff des gefiederten Raubvogels.

Doch der kam nicht!

Knapp über ihrem Kopf flog der Vogel vorbei, erhob sich erneut in die Lüfte, und diesmal schien es Carola, als ob der Raubvogel freudig lachen würde.

Was ist denn in den gefahren, überlegte sie kurz, und wandte sich erneut ihrem Weg zum Eingang der Höhle zu, den sie nach wenigen Minuten erreichte.

Vorsichtig blickte sie sich um.

Der Raum war dunkel, und ihre Augen brauchten eine Weile, bis sie sich daran gewöhnt hatte. Vorsichtig tastend ging sie, Schritt für Schritt, tiefer in die Höhle herein. Sie hatte schon als kleines Mädchen Angst vor dunklen Räumen gehabt, aber nun schien es ihr, als ob diese Angst mit einem Mal vollkommen verflogen wäre.

Sie fühlte sich stark und mutig, es mit jedem Dämon aufzunehmen, der ihrer Lehrmeisterin Gerlinde, oder einer ihrer Freundinnen etwas antun wollte.

Sie ging tiefer in die Höhle hinein, und plötzlich meinte sie, irgendwo in der Ferne Stimmen zu hören.

Und eine dieser Stimmen war die von Gerlinde.

Sie beschleunigte ihre Schritte, wobei sie peinlichst darauf achtete, durch Staub oder kleine auf dem Boden liegende Steine ein Geräusch zu verursachen, das die Dämonen hätte warnen

können.

Dann stand sie vor einer schweren Holztür, die aus einem vergangenen Jahrhundert zu

kommen schien. Sie war leicht angelehnt, so das sie jedes Wort von dem hörte, was dahinter gesprochen wurde, und auch sehen konnte, dank der hellen Fackeln, wie es in dem Raum aussah.

Jetzt muss ich mir schleunigst was einfallen lassen, überlegte sie.

Sie blickte sich in dem Raum um, soweit die geöffnete Tür es zuließ.

An einer Ecke vor einer Wand erblickte sie Gerlinde und zwei weitere Frauen, die auf dem Rücken gefesselt in mitten eines mit roter Farbe gemalten Pentagramms regungslos saßen,. Gerlinde war etwas von ihnen abgesondert, und vor ihr stand ein alter Mann, der eine Althalme in seiner linken Hand hielt, und damit Gerlindes Hals berührte. Zwei andere Männer sah sie hinter ihm, die lächelten und die Frauen verspotteten.

„Na, Hexe! Wo ist denn jetzt deine Göttin? Warum hilft sie euch nicht? Wechselt doch lieber zu uns! Wir werden immer füreinander da sein!“

Wenn ihr wüstet, Jungs, dachte sie und grinste. Die Kavallerie der Göttin ist schon da, und sie weiß auch schon, was sie zu tun hat!

Friedrichs Hand zitterte, als er die Althalme an gegen den Hals seiner Nichte drückte. Gerlinde sah seinen Hass auf sie in seinen rotglühenden Augen.

Wenn er dürfte, wie er wollte, wäre ich tot, überlegte sie blitzschnell. Aber Hanim will mich lebend und als seine Dienerin, also kann er es nicht wagen, mich zu killen. Göttin, wenn du uns doch nur helfen könntest, flehte sie in ihren Gedanken..

Ein leiser Windhauch berührte sie, und ließ sie erschauern.

Sie hatte seit langem nicht mehr soviel Furcht verspürt, wie in dieser Höhle, wo Anna, Nora und sie von Dämonen in eine Falle geloggt, gefesselt daniederlagen.

Etwas zwang sie, zu der Holztür zu blicken, die leicht geöffnet wenige Meter vor ihr stand.

Ihr stockte der Atem!

Halluziniere ich, überlegte sie?

Spinne ich schon, oder war da nicht Carola?

Aber das kann doch nicht sein! Woher soll sie denn wissen, wo wir sind?

Sie sah, wie Carola ihr zuzwinkerte, und ihren Zeigefinger der rechten Hand an ihren Mund hielt. Also soll ich mir nichts anmerken lassen, und sie ist wirklich da! Keine Halluzination also! Dann muss sie von der Göttin geschickt worden sein, überlegt sie blitzschnell. Ihr Körper, vorher zum zerreißen angespannt, entspannte sich etwas, was auch Friedrich nicht verborgen blieb, der sie wutentbrannt anblickte.

Er drückte die Althalme fester gegen ihren Hals. Einzelne Blutstropfen flossen, und fielen auf Gerlindes Brust. Friedrich lächelte. „Na, Hexe! Willst du jetzt vielleicht mehr Angst haben? Willst du nicht jetzt die Fronten wechseln und zu uns kommen?“

„Nee, hab keine Lust dazu“, erwiderte Gerlinde, durch deren Adern plötzlich wieder Hoffnung und Mut floss. „Aber wisst ihr, wozu ich gerade jetzt große Lust habe? Euch alle so zu verkloppen, das selbst euer bescheuerter Hanim euch nicht wiedererkennen wird. Dazu würde ich noch nicht einmal Magie einsetzen. Ich bräuchte nur freie Hände!“

„Und die sollen wir dir geben, Hexe?“

„Wenn ihr mutig seid, ja?“

„Wir sind mutig und nicht dumm, Hexe! Wir wissen ganz genau, das ihr irgendwelche Tricks benutzen werden würdet, um uns zu besiegen“. Aber das nützt euch nichts, solange ihr eure Kräfte nicht benutzen könnt!“

„Friedrich, gönn uns doch das Vergnügen, diese Hexenfotze leiden zu sehen“, sagte Nick, und grinste. „Und danach können wir uns ja Nora vornehmen, mit der habe ich nämlich noch eine Rechnung zu begleichen!“

„Gönn uns doch das Vergnügen, Friedrich“, sagte Jochen. „Was soll denn passieren? Sie

haben ihre Kräfte nicht zur Verfügung, und wir sind stärker als sie. Und auch ich will diese

Lesbenfotze zeigen, was für eine Rechnung ich mit ihr noch offen habe!“

„Wenn ihr meint“, sagte Friedrich, und schnitt mit der Althalme die Fesseln Gerlindes mit einem Schnitt entzwei.

Gerlinde stand auf, und ließ das Blut durch ihre Arme und Beine zirkulieren. Sie drehte sich zu Anna und Nora um, und zeigte ihnen durch eine leichte Kopfbewegung, das sie unauffällig zur Tür blicken sollten.

„Wer ist das“, flüsterte Anna, und blickte Nora fragend an, die durch ihren Blick zeigte, dass sie es auch nicht wusste.

„Na, Hexe! Bist du nun soweit, mich schlagen zu wollen?“

„Aber sicher doch“, bemerkte Gerlinde, und tänzelte um Friedrich herum. Plötzlich schnellte ihre linke Handfläche hervor, und traf ihn an der Stirn. Friedrich taumelte leicht zurück, aber fing sich schnell wieder. Seine Augen glühten. Er hob seine Hände, und ein riesiger Feuerball bildete sich aus ihnen, und er schleuderte sie auf Gerlinde, die geschickt auswich, und den Feuerball wirkungslos an der Wand der Höhle zerschellen ließ.

„Na, zu den Fairsten gehörst du ja wohl nicht gerade, Onkelchen“, sagte Gerlinde, und während sie das sagte, machte sie eine Drehung, und ihr linker Fuß traf punktgenau sein Genital.

Scherzschreiend heulte Friedrich auf.

„Packt die Fotze“, brüllte er zu seinen beiden Mitstreitern. „Haltet sie fest, damit ich sie mir vorknöpfen kann!“

Jochen und Nick stürmten auf Gerlinde zu. Nick griff nach ihrer Hand, und musste schmerzvoll feststellen, wie schnell Gerlindes linke Hand die seine soweit umdrehen konnte, das er voller Schmerz aufschrie, während sie gleichzeitig Jochen mit ihrer rechten Hand festhielt. Friedrich sprang auf, und schlug mit seinen Fäusten in Gerlindes Rücken, und Gerlinde sackte, wie vom Blitz getroffen, zusammen.

Keuchend erhob sich Friedrich, drehte Gerlindes Körper um, und sagte zu ihr: „ Na Hexe! Wer hat nun wen besiegt?“

Gespannt hatte Carola den Kampf von ihrer Lehrerin verfolgt.

Ich wusste gar nicht, das du dich im Kampfsport auskennst, Gerlinde, dachte sie voller Überraschung.

Gut, das ich darin auch sehr erfahren bin! Schließlich habe ich den braunen Gürtel im Kempo- Karate, und dazu noch angefangen Wing Tsun zu lernen, den Kampfstil, den eine chinesische Nonne vor über vierhundert Jahren in einem Shaolinkloster entwickelt hat.

Langsam wird es Zeit, meinen Plan in die Tat umzusetzen.

Vorsichtig holte sie die beiden Fleischmesser aus ihrem Gürtel, und stieß mit einem lauten Knall die Türe auf. Sie warf die beiden Messer dicht vor Anna und Nora, und stürzte sich mit lautem Geschrei auf Friedrich, der gerade vor Gerlinde stand, und sie mit der Althalme weiter quälen wollte.

„He Alter“, sagte sie. „Weißt du den nicht, dass man nicht mit Messern spielt?“ Sie trat ihn gezielt gegen sein Schienbein, und ihre Handkante entferne die Althalme aus seiner Hand, die sie mit einer geschickten Bewegung auffing.

Jochen und Nick kamen auf sie mit rotglühenden Augen zu, ihre Hände erhoben, um Feuerbälle zu bilden, die sie auf sie werfen würden, wie Carola wusste. Plötzlich fielen beide zu Boden, und hinter ihnen standen Anna und Nora, die sich befreit hatten, und all ihre Kraft zusammennahmen, um Nick und Jochen zu Boden zu schicken.

„Ihr werdet hier nicht lebend raus kommen, Hexen“, sagte Friedrich, und stand auf. „Dafür werde ich schon sorgen! Hanim wir es lieber sein, das ihr alle tot seid, als das ihr entkommt!“

Er hob seine Arme.

„Ich habe gewonnen“, hörte er plötzlich die Stimme seiner Nichte Gerlinde, die ihn mit einem

Schlag gegen die Halsschlagader außer Gefecht setzte. Das war das letzte, was er hörte, bevor er zu Boden fiel.

„Wir müssen hier schleunigst raus“, sagte Carola. „Ich führe euch!“

„Wer bist du“, fragte Nora, und Anna fügte hinzu: „Und woher wusstest du, das wir hier sind?“

„Für Erklärungen ist jetzt keine Zeit! Aber ihr könnt mir vertrauen, Leute. Ich gehöre zu den Guten!“

Gerlinde war zu Boden gefallen.

Ihr ganzer Körper tat ihr weh, und sie verspürte keine Kraft mehr.

„Lasst mich hier liegen, und rettet euch“, sagte sie zu ihren Mithexen!

Nora und Anna blickten sich an.

„Damit du dich hier ausruhen kannst, während wir Action haben“, sagte Anna. „Kommt nicht in Frage, Schwester! Wir sind die drei, und nicht die zwei Hexen! Also werden wir dir helfen, hier raus zu kommen!“

Nick stöhnte.

Er wurde wach, und nahm verschwommen vier Gestalten war, von denen eine am Boden lag. Er blickte sich um, und sah Friedrich, der neben Jochen lag, und der ebenfalls anfing, aus dem Schmerz zu erwachen.

„Sie werden wach“, sagte Carola. „Unten wartet das Wohnmobil auf uns“.

„Das Buch der Schatten“, sagte Gerlinde. „Wir dürfen nicht ohne das Buch der Schatten gehen!“

„Sie hat recht“, sagte Anna, und wandte sich zu Nick um. Ihre Hand umfasste seinen Hals, und sie drückte langsam zu. „Wo ist es, Kleiner? Sag mir, wo es ist, und du bleibst am Leben!“

Nick grinste.

„Ihr werdet es nie finden, Hexen!“

Gerlinde stand auf.

Sie spürte ihre Schmerzen. Aber noch mehr verspürte sie den Verlust des Buches der Schatten, das die Göttin ihr anvertraut hatte, und deren Vertrauen sie nicht enttäuschen wollte.

„Hast du noch andere Türen gesehen, Carola“, fragte sie ihre Schülerin?

„Ja, mehrere“, erwiderte diese.

„Dann lass uns alle durchsuchen, nachdem wir die bösen Jungs hier erst einmal schlafen gelegt haben.“

„Warum töten wir sie nicht“, warf Anna ein. „Dann haben wir mehr als genug Zeit, zu suchen und abzuhauen!“

„Weil du weißt, das wir das nur dann tun dürfen, wenn unser Leben unmittelbar bedroht ist, oder dem einer der Frauen, die wir betreuen“, erwiderte Nora. „Auch wenn es mir noch so sehr juckt, sie umzubringen, weiß ich doch, dass ich das nicht tun darf, weil es dreifach auf mich und uns alle zurückkehren würde!“

„Also, dann schenken wir den Jungs halt schöne Träume“, sagte Anna, und ging auf Jochen zu, an dem sie auf eine Stelle hinter seinem Ohr drückte, und er wie ein nasser Sack in sich zusammenfiel. Dann ging sie zu Friedrich und Nick, wo sie diese Prozedur wiederholte.

„So“, sagte sie, „wir haben eine viertel Stunde an Zeit gewonnen!“

„Dann lass uns die Zeit nicht vergeuden“, sagte Nora, und half Gerlinde, sich bei ihr aufzustützen.

Carola ging vor, und als sie die ersten Türen erblickten, gingen sie hinein, konnten aber nichts finden. Erst die vorletzte Tür, die sie gewaltsam öffnen mussten, hatte Gerlindes Buch der Schatten versteckt, das immer noch in Gerlindes Fransentasche lag.

„Also, dann machen wir, das wir von hier verschwinden“, sagte Anna, und folgte den anderen

Frauen. Im Hintergrund hörten sie, wie Friedrich fluchte.

„Die Jungs sind schon wach“, sagte Anna. „Jetzt müssen wir uns aber verdammt noch mal sputen, Schwestern!“

Nach einer Zeit, die Friedrich wie eine Ewigkeit erschien, erwachte er.

Nick und Jochen waren schon wach, und blickten ihn anklagend an.

„Was glotzt ihr so“, fragte er?

„Hättest du Gerlinde nicht freigelassen, wäre all das nicht passiert“, sagte Nick.

„Genau“, pflichtete ihm Jochen bei!

„Ja, wer wollte denn, dass wir unseren Spaß mit den Hexen hätten? Wer bat mich denn, sie loszumachen? Und verdammt noch mal, wie konnte diese eine Frau so unerwartet auftauchen?“

Er schrie!

„Und wie zur Hölle konnte es allen gelingen, zu fliehen, wo doch alles Dank Hanim so gut vorbereitet war?“

Hanim!

Der Meister wird unzufrieden mit uns sein, überlegte er! Und er wird ein Opfer haben wollen! Aber warum soll ich das Opfer sein, das er vernichtet? Schließlich waren es die beiden anderen ja, die alles erst möglich gemacht haben!

Aber vielleicht können wir das Unheil noch abwenden, wenn wir die drei Hexen vor Mitternacht noch einfangen, so das wir Hanim besänftigen können?

„Marsch! Steht auf“, sagte er in einem gebieterischen Ton, der keine Widerspruch duldete. „Wir müssen uns beeilen, sie doch noch einzufangen!“

„Sie suchen ihr Buch der Schatten“, warf Nick ein.

„Das sie bestimmt schon gefunden haben“, sagte Friedrich. „Aber es hat uns die Zeit verschafft, die uns helfen könnte, sie doch noch zu finden“

Hastig lief Nora, die Gerlinde gemeinsam mir Carola stützte, den Abhang herunter, gefolgt von Anna, die als Nachhut sich umblickte, ob ihre Verfolger schon hinter ihnen waren, was nicht der Fall zu sein schien.

Carola, die ab und an in den Himmel blickte, sah den Habicht, der weiter seine Kreise zog, und neugierig jeden ihrer Schritte beobachtete.

Gerlinde stöhnte vor Schmerz auf.

„Wir sind bald am Wohnmobil“, sagte Carola.

„Sag mal, wie hast du die Kiste flott gekriegt“, fragte Nora neugierig? „Nick hatte doch daran rumgefummelt!“

„Und ich kann auch ganz gut fummeln, wenn die Teile am Boden vor dem Motor des Wohnmobils liegen“, sagte Carola, während sie bemerkte, das ein Augenpaar von einer Anhöhe aus sie alle beobachteten.

„Schaut mal ganz unauffällig nach oben zu der Anhöhe. Neben dem Strauch habe ich was gesehen, das wie ein Augenpaar aussah. Seht ihr es auch?“

Anna blickte sich um.

Aber so sehr sie ihre Augen auch in der Dunkelheit anstrengte, sie konnte nichts erblicken.

„Ich sehe nichts, aber das heißt nicht, dass da nichts war, sondern nur, das ich nichts gesehen habe. Am besten ist, wir halten alle unsere Augen offen.“

Das Wohnmobil wurde von weitem sichtbar.

„Na, seht ihr! Bald sind wir da!“

Carolas Schritte vergrößerten sich, und Gerlinde hatte Schwierigkeiten, mit ihr Schritt zu halten. Sie stolperte. Carola stoppte, und half ihr hoch. Nora legte Gerlindes Arm um ihre

Schulter, und drückte sie eng an sich.

„Wir sind gleich da“, sagte sie. „Nur noch wenige Minuten, dann kannst du dich ausruhen, weil wir in Sicherheit sind!“

Friedrich, Jochen und Nick folgten den Spuren der Hexen, die sie leicht gefunden hatten. Jochen blickte in den fahlen Vollmondhimmel, und sah, wie die Farbe des Mondes vom satten Rot in ein blasses Rosa wechselte.

„Wir haben nicht mehr viel Zeit, Friedrich“, sagte er. „Wir müssen uns beeilen!“

Friedrich grunzte zustimmend, und auch Nick fluchte leise vor sich hin.

Schon wieder war mir Nora und ihre Hexenfreundinnen entwischt, dachte er. Es scheint so zu sein, als ob wir sie einfach nicht besiegen können, diese Hexenschlampen!

„Da sind sie“, sagte Jochen, und deutete auf einen Punkt, der etwa einen halben Kilometer vor ihnen lag. „Und da ist auch das Wohnmobil von ihnen! Ich dachte, du hättest es gebrauchsunfähig gemacht, Nick“.

„Hab ich auch“, sagte der Angesprochene. „Aber was kann ich dafür, wenn die doch noch einen Weg finden, das Ding wieder zum Laufen zu bringen?“

„Jetzt darf absolut nichts mehr schief gehen“, sagte Friedrich!

Carola hatte mit den drei Hexen das Wohnmobil erreicht.

Sie blickte den Weg hinauf, den  sie gegangen war, und sah, wie die Diener Hanims den Weg herunterstürmten. Anna, die ihren Blicken gefolgt war, sagte: „ Jetzt ist Zeit für das Showdown, Schwestern! Holt eure Colts hervor, gürtet eure Halfter, und stellt euch hinter die Sonne!“

„Lass den Quatsch, Anna“, sagte Nora. „Wir müssen jetzt was gegen die unternehmen.“

„Als ich das wollte, durfte ich nicht! Und jetzt, wo ich soll, will ich nicht!“

„Spiel doch nicht die beleidigte Leberwurst, Anna“, sagte Gerlinde. „Wir müssen unsere Energien zusammentun, denn nur so haben wir eine Chance, die Jungs in das Reich der Dämonen zurück zu schicken!“

Carola blickte in den Himmel.

„Sagt mal, hat das was zu bedeuten, dass der Mond blassrosa aussieht? Und das andauernd der Habicht da oben herumfliegt?“

„Was den Piepmatz angeht, weiß ich nicht, aber die Farbe der Mondin ist ein verdammt gutes Zeichen! Sie bedeutet, dass die Zeit der Dämonen bald zu Ende ist. Wenn er Orange ist, dann können wir aufatmen“, sagte Anna, und lächelte Carola an.

Ich mag sie, sagte sie zu sich selbst!

Sie hat Neugierde und ist nicht auf den Kopf gefallen. Dazu noch ihre Fähigkeiten und in der Kampfkunst, und ihre schnelle Reaktionsfähigkeit, gepaart mit ihrem Mitgefühl, und sie würde ne prima Hexe abgeben!

Plötzlich stutzte sie!

Vielleicht war sie eine Hexe? Eine Hexe, die uns die Göttin geschickt hatte, um uns zu retten?

Gerlinde holte das Buch der Schatten hervor, das sie fieberhaft durchblätterte.

„Hier ist etwas, was uns helfen könnte“, sagte sie. „Aber dazu würden wir noch die Hilfe einer verstorbenen Hexe brauchen. Nur, wo kriegen wir die so schnell her?“

Plötzlich ertönte ein spitzer Schrei, der aus einer großen Höhe zu kommen schien. Alle blickten nach oben in den Himmel, wo ein Habicht seine Kreise gezogen hatte, und zum Sturzflug ansetzte. Kaum berührten seine Klauen den Boden, umhüllte ein dichter Nebel den Vogel. Eine Frau in einem schwarzgoldenen Kostüm und einer eingemeißelten Mondin in der Mitte ihrer Stirn, erschien vor den erstaunt dreinblickenden Frauen.

„Merry meet, Schwestern der Göttin“, begrüßte sie alle. „Ich denke, das ihr noch Hilfe

gebrauchen könnt!“

„Wer bist du“, fragte Anna?

„Eine Priesterin der Göttin, die ihren irdischen Körper verloren hatte, und den Priesterinnen der Göttin hilft, wenn meine Hilfe gebraucht wird!“

„Na, das ist aber ein Service“, sagte Gerlinde, und lächelte. „Dann sind die Jungs schon so gut wie Geschichte!“

Die drei Männer waren nur noch wenige Meter von dem Wohnwagen der Hexen entfernt. Sie sahen, wie sich einige Frauen vor dem Wohnwagen versammelten. Friedrich erkannte seine Nichte und ihre beiden Freundinnen. Dazu noch die Frau, die sie bei ihrem Spaß gestört hatte, aber die letzte Frau kannte er nicht, obwohl er das Gefühl hatte, sie irgendwann einmal gesehen zu haben.

„Männer“, sagte er zu Nick und Jochen“, es wird Zeit, die drei einzufangen. Seit ihr bereit?“

„Sind wir immer“, sagte Nick, und Jochen nickte wortlos.

„Dann lasst uns unsere Energien verbinden, um so einen mächtigen Feuerball zu erschaffen, der die Hexen auf ewig darin einschließt, und sie erst herauslässt, wenn wir oder Hanim es wollen!“

Die Männer summten.

Erst leise, dann immer lauter. Erst langsam, dann immer schneller und zu einem Stakkato anschwellend. Sie spürten, wie die Energie in ihnen immer stärker wurde. Dann, in der nächsten Sekunde, der allen wie eine riesige Explosion erschien, kam ein riesiger Feuerball aus ihren in den Himmel erhobenen Händen, und sauste auf das Wohnmobil zu.

„Achtung“, sagte Anna. „Feindliches Geschoss im Anmarsch!“

„Haltet euch alle an euren Händen“, sagte die Frau, die bis vor kurzem noch ein Habicht war. „ Wenn der Feuerball auf euch zukommt, und euch umschließen will, dann sprecht zusammen: „ Die Macht des Bösen geht entzwei, das Böse muss nun endlich gehen. Die Macht der Göttin bleibt bestehen, und all das wird nun dreifach geschehen!“

Alle Frauen umfassten ihre Hände und bildeten mit der Habichtfrau einen Kreis.

Der Feuerball kam auf sie zu. Flog über deren Köpfe, und sauste dann auf alle nieder. Die riesige Feuerhülle umhüllte alle, und zerbarst, als alle Frauen, die sich innerhalb des Feuerballs befanden, den Zauberspruch aufsagten.

Die drei Männer kamen auf die Frauen zu.

Ihre Augen glühten voller Röte, und Blitze traten aus diesen Augen hervor. Blitze, die in Richtung der Frauen flogen.

„Das ist ein direkter Angriff auf uns“, sagte Nora. „Jetzt dürfen wir die Jungs echt ohne Risiko killen!“

„Na endlich“, sagte Anna. „Und ich dachte, ich hätte heute keine Action mehr!“

„Lass uns unsere Energien verbinden“, sagte die Habichtfrau. „ Dann werden alle drei auf einmal vernichtet werden!“

Alle Frauen, auch Carola, sangen ein Mantra, deren Energien stärker und stärker wurde.

„Huaté, manu hanu, laoté“, sangen sie immer und immer wieder.

Eine Mauer aus reiner Energie bildete sich um die Frauen, und breitete sich mehr und mehr aus, berührte die Männer, die nach und nach sich auflösten.

Dann waren sie verschwunden.

„Sind sie tot“, fragte Carola ungläubig?

„Weiß ich nicht“, erwiderte Anna. „Ich pflege keinen freundschaftlichen Kontakt mit Dämonen zu haben!“

Aber das tust du doch, Anna, dachte Nora. Du bist mit mir befreundet, und du liebst mich!

Und ich bin zur Hälfte dämonisch!

Gerlinde stöhnte auf.

Die Habichtfrau kam auf sie zu, und berührte leicht ihre Rippen und ihre Stirn.

„Bald wird der Schmerz verschwunden sein, Schwester“, sagte sie, und drehte sich zu den anderen Frauen um. „Meine Arbeit hier ist nun getan“, sagte sie. „Und ich muss jetzt gehen, da ich diesen Körper nur so lange haben darf, wie es nötig ist, meinen Schwestern zu helfen!“

Sie blickte Anna in die Augen

„Gehe deinen Weg, und du wirst deine große Liebe finden, meine Schwester“, sagte sie, und umarmte sie. „Blessed be“, sagte sie dabei.

Dann ging sie zu Nora, die sie ebenfalls umarmte, wobei sie sagte: „ Bereite niemand Schmerz, der dich liebt?“. Dann verabschiedete sie sich ebenfalls mit einem „Blessed be“ von Nora, die ihr erstaunt nachblickte, als sie sich Carola zuwandte, die sie ebenfalls umarmte. „Du bist das Bindeglied und die Vermittlerin zwischen zwei Menschen, die du liebst, meine Schwester. Blessed be!“

„Dann drehte sie sich erneut zu Gerlinde um, die sagte: Es tut kaum noch weh, Schwester! Ehrlich, es ist fast so, als ob ich kaum etwas abbekommen hätte!“

Plötzlich rannen Tränen über das Gesicht der Habichtfrau. Sie umarmte Gerlinde, und flüsterte ihr etwas in ihr Ohr. Dann sagte sie zum Abschied „Blessed be“, und ein erneuter Rauch umhüllte sie. Der Habicht wurde sichtbar, und erhob sich in die Luft, wo er die Frauen mehrmals umkreiste, und dann in den Weiten des Horizonts verschwand.

„Was hat sie dir gesagt“, fragte Anna?

„Das sie meinte, dass ich eine tolle Frau wäre“, sagte Gerlinde, und lächelte.

Sie wollte das, was die Habichtsfrau ihr ins Ohr geflüstert hatte, niemand sagen, vor allem nicht ihrer Schülerin, Carola.

„Du bist eine wundervolle Frau und Priesterin der Göttin geworden“, hatte die Habichtsfrau in ihr Ohr geflüstert. „Und jede Frau kann froh sein, dich als Partnerin zu haben. Und die Frau, die du liebst, wird das eines Tages auch erkennen!“

Warum soll ich Carola sagen, das ich nicht als Frau im biologischen Sinne geboren wurde, dachte sie. Es geht sie nichts an. Es reicht, das Anna und Nora es wissen!

Anna!

Ein unbeschreiblich warmes Gefühl durchflutete sie.

Ob sie recht hat, und Anna und ich werden doch noch ein Paar, dachte sie?

Aber nein, das ist doch unmöglich! Ich weiß doch, wie sie denkt!

„Meine Tochter, was bist du doch für eine Schisserin“, hörte sie die Stimme der Göttin in sich. „Menschen können sich entwickeln und ändern, wie du ja am eigenen Leib erfahren durftest. Und wer sagt dir denn nicht, dass die Habichtsfrau Recht hatte. Schließlich kennt sie dich seit deiner Geburt!“

„Seit meiner Geburt?“

„Ja, denn sie ist deine Großmutter, die dabei war, als du geboren wurdest!“

„Mütterlicher oder väterlicherseits“, fragte Gerlinde ängstlich?

Mütterlicherseits, oder meinst du, eine Mormonin würde eine Priesterin der Göttin werden?“

Gerlinde musste plötzlich lachen, denn auch ihr schien diese Vorstellung zu absurd!

Also war die Habichtsfrau meine Großmutter, dachte sie, und erinnerte sich mit Tränen an den Augenblick, als sie von ihr umarmt wurde.

Das Gefühl der Nähe und Verbundenheit, das für einen Augenblick zwischen ihnen herrschte, als ihre Großmutter sie umarmt hatte.

Meine Großmutter war also auch eine Priesterin der Göttin, dachte sie mit Liebe und Stolz, die sie in sich verspürte. Woran ist sie gestorben?

„Sie war eine der Hexen, die in der Zeit des Nationalsozialismus Juden versteckte, und ist dabei erwischt worden. Ausgerechnet von einem Diener eines Dämons, der sie als Hexe erkannte, und sie Jahre später, kurz nach deiner Geburt, tötete. Sie hatte darum, nach dem Verlassen ihrer sterblichen Hülle gebeten, weiter den Frauen zu helfen, die als meine Priesterinnen tätig waren. Und als sie dich sah, wie die Dämonen dich und deine Freundinnen in die Höhle brachten, hatte sie dich sofort widererkannt, und wollte dich beschützen. Und so kam sie hierhin.“

„He, Gerlinde“, sagte Nora. „Wollen wir hier Wurzeln schlagen, oder nach Hause düsen, wo wir uns erst einmal ein schönes Bad, ein leckeres Essen und ein schönes Glas guten Rotweins gönnen.“

„Ich denke, da gibt es nichts zu überlegen“, sagte Anna, die Gerlindes Antwort nicht abwarten wollte. „Dämonenkämpfe fördern meinen Appetit!“

Anna blickte Carola an.

“Was ich dich fragen wollte, Gerlinde. Wer ist dieses Küken hier?“

„Das ist Carola, meine Schülerin, die ich als Hexe ausbilde. Stellt euch am besten alle selbst vor!“

„Also, ich bin Anna, die Unwiderstehliche“, sagte Anna, und deutete auf Nora. „Und ich heiße Nora, und bin zwar nicht unwiderstehlich. Aber dafür unerreicht“, sagte Nora, und lächelte.

„Na, ein gesundes Selbstvertrauen scheint bei euch allen ja zu sein“, sagte Carola!

„Also, dann rein in unsere Luxuskarosse, und ab nach Hause“, sagte Anna, und stieg in das Wohnmobil ein. Die anderen Frauen folgten ihr.

 

 

Der Raum war dunkel und kahl.

Auf einem einsamen erhöhten Stuhl saß Hanim, und blickte auf die zusammengekauerten Gestalten von Friedrich, Nick und Jochen, die ihn erwartungsvoll ansahen.

„Ihr habt versagt“ sagte Hanim!

„Das wissen wir, Meister“, sagte Friedrich. „Und es tut uns leid. Wir würden diesen Fehler wiedergutmachen wollen, wenn wir dürfen!“

„Dazu werdet ihr keine Gelegenheit mehr haben“, sagte Hanim. Er hob seine Hand, und zwei Gestalten erschienen, ganz in schwarz gekleidet, und führten die drei Männer ab.

„Ihr werdet in das Reich der Dämonin Galigisto kommen; und das so lange, bis ihr euer Versagen gesühnt habt. Und dann werdet ihr die Arbeit für mich tun, die nur die niedrigsten meiner Diener tun, solange, bis ihr euch wieder als meiner würdig erwiesen habt!“

„Wir werden also noch leben“, flüsterte Nick.

„Wenn du das Leben nennst, jeden Tag gezüchtigt zu werden, und faules Wasser zu trinken?“

Alle gingen.

Hanim saß allein auf seinem Thron.

„Ich werde euch besiegen, ihr Hexen! Ich werde euch besiegen!“

 

 

Ende

 

Wird Hanim es schaffen, die drei Hexen zu besiegen, und deren Macht zu zerstören?

Wie wird Nora mit der Tatsache ihres dämonischen Vaters fertig?

Wird sie davon Anna und Gerlinde erzählen? Wie werden sie reagieren?

Wird Carola weiter die Magie von Gerlinde erlernen?

Werden Anna und Nora ein Paar?

Wenn Ihr die Antworten auf diese und andere Fragen erfahren wollt, dann versäumt nicht die nächste Folge der „Macht der drei Hexen

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