Maria, Ahl-dat und die Göttin - sie alle stehen für das Weibliche im Glauben, doch in der westlichen Zivilisation wird dies nicht immer deutlich. Eine männerdominierte Welt, geprägt durch christliches Selbstverständnis ist das Bild, das westliche Kulturen ausmacht. Doch gibt es nicht noch mehr, worauf basiert dieses Bild und kann es verändert werden?
Die westliche Welt ist in den letzten 2000 Jahren durch das Christentum geprägt worden und selbst wenn sich unser Herz für eine andere Religion entschieden hat, so können wir diesen Einfluss in unserer Gesellschaft nicht leugnen. Die Feiertage richten sich danach, wenn man wie ein typischer Deutscher aussieht, wird automatisch angenommen, dass man Christ ist – zumindest auf dem Papier. Christentum ist immer noch ein Synonym für Religion.
Jede Gesellschaft kann ihre Werte nur durch Religion und von einer Gottheit gegeben begründen. Rational lässt sich jeder Wert nur mit einem anderen Wert begründen oder mit Moral oder als ethische Pflicht. Nur welche Religion diktiert die „besseren“ Werte? Werte sind nicht universell und wenn sie es wären, so würde dem wohl eine lange Diskussion vorausgehen, auf wessen religiösem Bild diese Werte basieren.
Die Frau hat es im patriarchalischen Christentum wahrlich nicht gut getroffen. So ist es Eva, die vom Baum der Erkenntnis ! (nicht des Bösen oder Unreinen) den Apfel kostet und ihn Adam gibt. Von Gott befragt, übernimmt Adam keine Verantwortung für seine Tat, sondern schiebt die Schuld auf Eva und sogar Gott selbst („Die Frau, die du erschaffen hast, gab mir den Apfel."). Aus psychologischer Sicht wird diese Episode oft mit der Entwicklung eines Kindes gedeutet. Zu Beginn kann ein Kind nur Liebe empfangen und es muss erst lernen, Liebe zu geben. Genauso kann ein Kind noch nicht „Gut“ und „Böse“ unterscheiden. Im Idealfall sorgen die Eltern (vor allem die Mutter) für alles, was es braucht, und sie sind es auch, die ihm den Unterschied zwischen „gut“ und „böse“ beibringen.
Frauen sind jedoch seit dieser Geschichte von Gott bestraft. Sie gebären unter Schmerzen und bluten jeden Monat. Aus diesem ursprünglich sakralen Akt (sacer, lat. bedeutet sowohl "heilig" als auch "unrein") wurde die Unreinheit der Menstruation, die es Männern Gottes verbietet, eine Frau zu berühren. Sie könnte ja zufälligerweise ihre Tage haben, unrein sein, den Mann somit beschmutzen. Als hätte sie eine ansteckende Krankheit, die Krankheit eine Frau zu sein. Dieser Glaube existiert auch heute noch in einigen patriarchalen Kulturen.
Im Anbeginn war Sophia, der Heilige Geist, weiblich und im Mittelalter wurden viele Kirchen ihr gewidmet. Auch im Islam ist Ahl-dat, die Essenz oder der Geist Ahl-lahs, weiblich. Trotzdem wurden viele Kirchen, die dem Heiligen Geist gewidmet waren, umbenannt, meist zu Marienkirchen. Maria ist, zusammen mit Maria Magdalena, eine der ambivalentesten Figuren der Bibel. Hätte Joseph nicht zu ihr gehalten, wäre sie nach Sitte der frühen Juden wegen ihrer Empfängnis gesteinigt worden. Maria ist die Himmelskönigin, die Königin der Erde, der Hölle und die Verteidigerin der Menschen. Sie nahm den Platz der Muttergöttin ein, in stark katholischen Ländern ist ihre Anbetung noch heute herzlich und ergreifend.
Im Mittelalter wurde Maria von so manchen Kirchenvätern sogar über Gott gestellt. Nach Isidor Gablas, einem Theologen aus dem 14. Jh., war Maria die Schöpferin, die alles entstehen ließ, die im Himmel herrschte und nach ihrer Geburt auf der Erde. Maria wurde mit einer Vielzahl von Göttinnen verglichen, Juno, Aphrodite, Ishtar, Isis, Magna Mater, Mari, Mariamne und auch mit den schicksalsspinnenden Moiren. Sie wurde zur weißen Maria und zur schwarzen Madonna. In einem der frühen gnostischen Evangelien, dem Marienevangelium, wurden die drei Marien, die zur Kreuzigung Jesus anwesend waren, mit den drei Aspekten der Göttin gleichgesetzt. Dieses Evangelium wurde aus dem neuen Testament wieder entfernt. Es war auch eine Frau, die die Totenwache hielt und der Jesus nach seiner Auferstehung als erstes erschien. Manche Mystiker empfanden die Umkehrung des lateinischen Grußes Ave, mit dem Maria vom Engel Gabriel gegrüßt wurde, und dessen Umkehrung Eva ist, als den Beweis, dass Maria Evas Reinkarnation ist. Das impliziert jedoch, dass ein Reinkarnationsglaube vorhanden sein musste. In manchen Schriften lassen sich auch Andeutungen finden, dass Maria Jesus Mutter / Geliebte war.
Natürlich sah es die Kirche nicht gerne, dass Maria den Titel der Muttergöttin übernahm. Der Kampf der Kirchenväter gegen die Göttin hatte schon in den Anfängen des Christentums begonnen und die ambivalente Rolle Marias änderte sich ständig. Aus dem Marienglauben musste ein Vorteil gezogen werden, denn ganz konnte man sie nicht streichen. Ihre Empfängnis wurde aus diesem Grund in verschiedene Formen umgedeutet. Sie wurde als ein Mittler betrachtet, ein Gefäß, das nur der Empfängnis diente, oder es wurde ganz in Frage gestellt, ob sie Jesus überhaupt geboren hatte und ob dieser nicht viel eher als Erwachsener vor ihr erschienen sei.
Es war eine Gratwanderung zwischen der Akzeptanz der Maria und der Befürchtung, ihr zu viel Macht in die Hände zu spielen. Das Auf und Ab ihrer Bewertung zeigt sich unter anderem darin, dass Maria in der Kunst des 5. Jh. keinen Heiligenschein tragen darf, erst im 6. Jh. Da die Sexualität vom Fleische und somit vom Teufel kommt, wurde Marias Reinheit und Jungfräulichkeit betont. Sie hatte nicht – wie sterbliche Frauen – durch den Beischlaf empfangen und somit gebar sie nicht durch eine Sünde das Leben. Eine sehr abwertende Meinung über die Sexualität, die sich glücklicherweise nicht in 100 % Reinheit halten konnte. Marias Jungfräulichkeit und damit ihre Unbeflecktheit zu betonen, wurde die „Waffe“ der Kirche gegen die Gleichsetzung Marias mit den alten Göttinnen.
Maria wurde zu einer Idealisierung, die Verkörperung der Reinheit, die ohne Sünden ist. Unerreichbar für jeden Mann und erst recht für jede Frau.
Maria – die Unerreichbare
So zeigt sie sich den Menschen. Sie ist zwar die Barmherzige, sie ist die, die sich für die Menschen einsetzt, aber sie ist auch die Ideal-Frau, die es nicht gibt. Die Frau, die ohne Sexualität Leben hervorbringen kann, die Unantastbare, einer Vestalin gleich.
Die Regeln, die die Frauen dem Manne unterstellen, sind mannigfaltig und das Mittelalter hatte es sich zur Aufgabe gemacht, der Frau zu zeigen, wo ihr Platz sei. Laut Martin Luther ist es: „Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie geboren werden." Papst Pius II, 1405-1464: „Wenn du eine Frau siehst, denke, es sei der Teufel! Sie ist eine Art Hölle!" Tief sitzt der Glaube an die Minderwertigkeit der Frau in religiöser Hinsicht. Das Bild der Gottheit ist nicht nach ihr beschaffen, sie ist nicht wie das Ideal, denn sie ist eine Frau. Das birgt in sich bereits für die Frau den Weg der Suche und entweder findet sie ihre Erfüllung in der Rolle der Dienerin, oder sie wendet sich einer anderen Religion zu, oder sie wird psychisch krank. In der Idealisierung liegt die Gefahr und trotzdem wird sie gebraucht. Wie Donata Pahnke es formuliert: „Ohne dualistische Wertungen [...] sind Erlösungstheorien schlechthin unmöglich. Erst wenn etwa die Kindheit, die Weiblichkeit, das Lustprinzip, die Dunkelheit oder der Tod zu etwas Negativem erklärt werden, können die Reife, die Männlichkeit, das Realitätsprinzip, das Licht oder das Leben zum Ideal werden.“
Das Ideal des Menschen ist somit ein Mann und so wurde in der Wissenschaft die Frau lange nicht beachtet. "Mensch = Mann" lautete die Gleichung. Erst in der heutigen Zeit beginnt die westliche Kultur dies anzuzweifeln. Selbst in der Medizin ist man(n) sich nicht mehr sicher, ob Medikamente, die für den männlichen Körper geeignet sind, automatisch auch für den weiblichen geeignet sind. Sätze wie die des Bischofs Graber zur Sexualkunde in Schulen (1980): „Vielleicht wird uns hier klar, warum wir vorhin auf den engen Zusammenhang des Weibes mit dem Tier aufmerksam machten: Sexualität führt zur Bestialität.“ Und Papst Johannes Paul II in Bezugnahme auf Paulus (1988): „Eine Frau soll still zuhören und sich ganz unterordnen. Ich gestatte es keiner Frau zu lehren und sich über den Mann zu erheben. Zuerst wurde ja Adam erschaffen, und dann erst Eva.“ zeigen, dass ein unbalanciertes Weltbild noch tief in den Köpfen der katholischen Kirche verwurzelt ist. Wir müssen also fast von Glück reden, dass weibliche katholische Religionslehrerinnen existieren,
oder ist dies der Wandel, der sich abzeichnet?
Die Gefahr des Ungleichgewichts ist eine ganzheitliche Gefahr. Die männlichen Werte wie aktiv, dynamisch, rational u.ä. werden in unserer Gesellschaft als „gut“ und erstrebenswert bezeichnet, weibliche Werte wie passiv, empfangend, emotional als störend. Die Beherrschung der Erde ist im Ungleichgewicht. Viele haben sich bereits dazu geäußert, dass die ökologische Krise mit dem Verlust des Pantheismus im Zusammenhang steht.
Es wird oft vergessen, dass beide Geschlechter alle Werte in sich tragen. Animus und Anima, wie Jung sie nannte. Allerdings basieren seine Studien hauptsächlich darauf, dass der Mann seine Anima entdeckt, die ihn inspiriert. Die Frau soll ihn dabei unterstützen. Die Rollenbilder sind noch lange nicht wegzudenken. Für den Mann bedeutet die Nicht-Akzeptanz einer Göttin, dass er seine weiblichen Seiten unterdrücken muss, weil sie ja „schlecht“ sind. Er hat keine asexuelle Maria, sondern eine Maria Magdalena und somit entsteht unter Umständen ein innerer Konflikt.
Für die Frau bedeutet dies, dass sie sich als minderwertig empfindet, weil es keine Gottheit nach ihrem Bilde gibt, außer Maria, doch bei ihr werden in Glaubensfragen die Reinheit und Jungfräulichkeit betont. Es ist das Glück unserer Gesellschaft, dass das strenge Bild sich nie durchsetzen konnte. Trotzdem sind die Konflikte unterschwellig vorhanden, da wir von Werten und moralischen Einstellungen des Christentums geprägt sind. Es gibt leider immer noch Frauen, die während ihrer Menstruation davon überzeugt sind, der Teufel hätte Besitz von ihnen ergriffen, sie seien unrein und müssten Buße tun.
Die Gegenbewegung des Pendels in der Theologie ist die Theosophie, die feministische Theologie. In sehr starker Vereinfachung – denn es gibt verschiedene Theosophien – kann man davon sprechen, dass der Gott einfach von der Göttin ersetzt wird. Oft wird auf alte Gottheiten zurückgegriffen – aber eben hauptsächlich auf die Göttinnen. Würden sich diese Theorien durchsetzen, so hätten wir die
andere Seite. Die Männer müssten sich völlig mit einer weiblichen Gottheit identifizieren, die zwarAspekte ihrer selbst in sich tragt, nicht aber nach ihrem Ebenbild geschaffen ist.
Wenn die Gottheit schon nach Ebenbildern beschaffen sein muss, da sie sonst die Vorstellungskraft mancher sprengt, oder sie dadurch viel persönlicher empfunden wird, so sollten beide Geschlechter darin enthalten sein. Aussagen wie: „Gott, der Herr, (Jahwe) liebt wie eine Mutter“ (und trägt somit das Weibliche in sich) sind nicht ausreichend zur Identifikation und zu lange wurde das Bild
"Jahwe = Gott = Mann" mitgetragen. Der Mensch braucht Führer-, Leit- oder Vorbilder. Helden können sogar Comicfiguren sein oder Captain Jean Luc Picard (Star Trek), Schauspieler, und Sänger. Wichtig ist die Identifikation und das Streben, die Werte des Helden zu seinen eigenen werden zu lassen.
Das Vorbildverhalten der Religion ist schwer zu fassen, man kann aber davon sprechen, dass es für die Weltbevölkerung gesehen an Aussagekraft verloren hat. Nach dem Weltalmanach 1996 sind die größten zwei Glaubensgruppen, in Relation zur Weltbevölkerung das Christentum mit 33,6 % und die Nichtreligiösen mit 20,5 %. (Wicca und Heiden würden unter Andere laufen mit 7,33 %.) Trotzdem können wir uns der Prägung durch die vorherrschende Religion nicht entziehen. Ein Gleichgewicht in der Gesellschaft kann meiner Meinung nach nur durch ein Gleichgewicht der Geschlechter in der Religion erreicht werden. Die Göttin war nie weg und ihr Begleiter ebensowenig, ihre Namen und Formen haben sich geändert, doch der große Kampf mit der Marienanbetung zeigt, dass der weibliche Archetyp nicht so leicht zu entfernen ist. Die Leere, die von der christlich-patriarchalen Prägung zurückgelassen wurde, wird allmählich durch das Zeitalter des Wassermannes kompensiert und die Hinwendung eines großem Teil der „Schäfchen“ hin zu asiatischen Religionen, New Age und Heidentum, hat so manche Wendung in eine erstarrte Kirchenform gebracht. Wir können nur ahnen, wie es sich weiterentwickeln wird, und versuchen das Beste herauszuholen. Die Entwicklung hat erst begonnen – aber immerhin wird der Göttinnenkult so langsam in Büchern über Religionen erwähnt.
© by Ishtar (Imbolc 2002 ) at sternenkreis
Bibliographie:
Adler, Margot: Drawing down the moon (1979)
Fisher, Mary Pat: Religion heute (1997)
Fromm, Erich: Haben oder Sein (1976)
Fromm, Erich: Die Kunst des Liebens (1956)
Pahnke, Donate: Ethik und Geschlecht (1992)
Psychologie Heute Compact: Frauen (1998)
Sorge, Elga: Religion und Frau (1987)
Walker, Barbara G. : Das geheime Wissen der Frauen (1983)
Weltalmanach 1996