Der "Bauernfesttag" stellt in einer Feier der Ernte auch vor allem das Essen und Trinken in den Vordergrund. Sicherlich lag dies daran, dass im November die großen Schlachtungen vor dem Winter stattfanden, sowohl bei den Kelten, als auch bei den Germanen, denn der komplette Herdenbestand wurde meist nicht über den Winter hindurch gehalten. Entsprechend wurde viel Geschlachtet und Fleisch gegessen. Der Angelsächsische Name des Monats, der und von Bede überliefert wird: Blot-Monath „Opfermonat“ deutet ebenso darauf hin. Der Volkstümliche Mondname, Blutmond gibt uns einen zusätzlichen Hinweis in diese Richtung.
Martin von Tours
Der Martinstag wird heutzutage am 11. November, dem Tag der Beerdigung des Martins von Tours, der am 8. November 397 gestorben war gefeiert. Martin war nach Maria und Johannes der erste katholische Heilige des Abendlandes, der nicht den Tod als Märtyrer gestorben war. Martins als heroisch empfundenes Leben führte bald zur Heiligsprechung. Der Frankenkönig Chlodwig erhob Martin zum Nationalheiligen und Schutzherrn der fränkisch-merowingischen Könige. Bekannt ist er für die Teilung seines Mantels mit einem Bettler. Interessanterweise leitet sich sein Name, Martinus, vom Kriegergott Mars ab, so dass es nicht erstaunlich ist, das er viele seiner Attribute und Schutzfunktionen übernommen hat.
Der katholische kirchliche Oberhaupt den 7. Jh. vor unserer Zeitrechnung, Papst Martin I. machte diesen Tag zu einem kirchlichen Feiertag und es ist gut möglich, dass es dabei darum ging den heidnischen Feiertag der Teutonischen Völker im Christentum zu absorbieren. Heutzutage handelt es sich nicht mehr um einen hohen katholischen Feiertag.
Sankt Martin gilt als Schutzpatron der Armeen, Ritter, Soldaten, Reisenden, Flüchtlingen, Huf- und Waffenschmieden, Aplenhirten, Bettlern, Tuch-, Kappen- und Handschumachenr, Webern, Gerbern, Schneidern, Bauern, Hirten, Winzer, Gastwirten, Trinkern, Hoteliers, Müllern und Tieren (Pferde, Hunde, Vögel).
Protestantische Christen gedenken an diesem Tag Martin Luther (der seinen Namen von St. Martin erhalten hat). Das der Name des Festes umgedeutet wurde, hat am Brauchtum nichts verändert, ein weiterer Hinweis, auf die Zähigkeit des Brauchtums gegenüber Umdeutungen.
Essen, Trinken und der Zinstag
Das Gansessen hat seinen vorchristlichen Ursprung bei den Schlachtfesten im November.
Von den Kelten ist bekannt, dass sie sich Gänse als Haus- und Kulttiere hielten. Wer Gänse kennt, weiß, dass sie hervorragende „Wachhunde“ sind. Auch bei den Römern bewachen heilige Gänse das Capitol, den heiligen Mittelpunkt des römischen Reiches.
Da nicht alle Gänse über den Winter gehalten werden konnten, wurden viele bis auf wenige Zuchtpaare im Herbst geschlachtet. Nach Pamela Graf soll dies rituell stattgefunden habe zur Rückkehr der Plejaden, was bei den Kelten um den 11. November gewesen sein soll. (Meine Astronomischen Kenntnisse sind leider nicht gut genug dies zu überprüfen, wer bessere Kenntnisse hat, möge die bitte nachreichen – und bitte die Präzession der Pole beachten).
Mit dem Martinstag war auch das wirtschaftliche Bauernjahr beendet, was mit Gesindewechsel, Markttag, Almabtreib und entsprechenden Zins-, Pacht- und Lohnzahlungen fällig waren. Dies geschah meist in Form von Naturalien und häufig waren Gänse die Bezahlung, da ihre Schar sowieso reduziert werden musste. Dies ist allerdings auch ein Hinweis darauf, dass dieser Festtag als der Beginn, bzw. Ende des Jahres betrachtet wurde. Es war dem Gesinde auch erlaubt seinen Arbeitsplatz zu diesem Zeitpunkt zu wechseln. "Auf Martini ist ZInszeit" und " Sankt Martn ist ein harter Mann, für den, der nicht bezahlen kann" lauten zwei Redewendungen.
In England wurde der Brauch als „Martlemas beef“ überliefert (die Briten kennen an Michaeli ein Gansessen).
Auch in Dänemark wurde am Martinstag Gans gegessen und vom Brustbein konnte der Winterverlauf vorausgesehen werden. Weiß für Schnee, braun für starke Kälte. In den Vereinigten Staaten ist zu Thanksgiving ein Ähnlicher Brauch in Form eines wishingbones (Wunschknochens) bekannt. Zwei halten je eine Seite und versuchen die Mitte zu „knacken“. Wer zum Schluss das längere Stück hat darf sich etwas wünschen.
In Irland, in St. Peter’s, Athlone ist ein offensichtlicher Opferbrauch bis ins 19. Jahrhundert erhalten geblieben: Jeder Haushalt würde irgendein Tier töten und Hausgrenze oder Landgrenze mit seinem Blut bespritzen. Das Tier wurde St. Martin geopfert, der offensichtlich an die Stelle einer früheren Gottheit getreten ist. Unglück würde die Familie befallen, die das nicht tat. Möglich, dass dies vom keltischen Samhain auf den Martinstag übertragen wurde. In einer sehr interessanten irischen Legende heißt es, der Heilige selbst wurde zerstückelt und in Form eines Ochsen gegessen. Dies bringt interessante Parallelen zu manchen Schöpfungsgeschichten in denen eine Gottheit oder ein Urwesen zerstückelt wird (wir befinden uns zum Jahresende – Jahresanfang!) wie auch zu Bacchus, dem römischen Dionysus. Dionysos ist ein Gott des Weines und der Fruchtbarkeit, der ebenso zerstückelt wurde und von der Göttin Rhea wieder zusammengesetzt, indem sie seine Glieder in einem Kessel kochte.
Entsprechend wird auch davon ausgegangen, dass die der Martinstag einen Festtag für den Fruchtbarkeitsgott Bachhus ersetzte. Dies wird auch als Grund genommen, warum nicht der eigentliche Todestag, sondern der Beisetzungstag als Gedenktag genommen wird. Die Verbindung zu Fruchtbarkeit und Wein ist auch im Brauchtum noch zu finden: Der junge Wein, der „Heurige“ wird häufig an diesem Tag getrunken und getauft. Wobei vielerorts von den Erwachsenen heute eher Glühwein gegen die Kälte getrunken wird. Es gibt auch die Redewendung „Martinsmann“ für jemanden der sehr viel trinkt. Die „Martinsminne“ hat sicherlich in Trinksprüche und Opferungen des Weins ihren Ursprung. Aus dem Böhmerwald gibt es den früheren Glauben, dass Wein, der an diesem Tag getrunken wird Stärke und Schönheit bringt.
In Venetien gehörten Weintrauben zum Abendessen dazu und sogar in Sizilien gehörte es dazu an diesem Fest den neuen Wein zu trinken.
“Heb an Martini, Trink Wein per circulum anni”, heißt eine alte Weisheit.
Rutenschläge für die Fruchtbarkeit
Ein weiterer Fruchtbarkeitsbrauch ist jener des Gertenschlages. Nach C. A. Miles handelt es sich um einen Birkenast, an dem alle Äste entfernt wurden, bis auf die an der Spitze und Eichen- und Wacholderblätter wurden zusätzlich daran befestigt. ( Ich sehe das Grinsen der „eingeweihten“ in die Weisheit der Bäume ;-)). Der Halter der Gerte wurde als Repräsentant des Heiligen Martins gesehen. Sicherlich können wir sagen, dass es dabei darum geht „Böse“ Einflüsse zu vertreiben eher als Bestrafung. Wir können aber gut darüber spekulieren, dass die christliche Interpretation eine von Bestrafung und Sünde wurde und daraus die entsprechenden Zweige des St. Nikolaus. Sowohl St, Nikolaus als auch St. Martin gelten als Heilige, die an die Stelle von Wodan oder besser gesagt Anführern der Wilden Meute getreten sind. Die Früchte können gut ein Segen von Innen sein, während der Gertenschlag einen Segen von außen liefert.
Licht und Feuer
Die Martinsfeuer werden mit dem „Sommerverbrennen“ und kelto-germanischen Erntedankfesten in Verbindung gebracht. Eine Verbindung zu All Hallows in Britannien (dem ursprünglichen Halloween, bzw. dem irischen Samhain) gibt es ebenso. Im Rheintal war es früher brauch kleine Feuer auf den Höhen des Flussbettes zu entzünden. Das Jungvolk sprang drüber und tanzte drum rum, die Asche wurde verstreut um die Felder fruchtbar zu machen.
Die Laternenprozessionen oder Fackelumzüge gehen auf vorchristliche Feuer- und Lichtbräuche zurück. Die Feuer sollen die bösen Geister vertreiben. Jugendliche und Erwachsene zogen durch die Felder um die bösen Geister zu vertreiben und für das kommende Jahr Fruchtbarkeit und Segen zu bringen. Die Ursprünglichen Laternen waren Rüben, Kürbisse kamen alle erst später aus den heutigen USA zu uns nach Europa. In der Schweiz ist dieser Brauch in seiner urigsten Form mit den „Räbäliechtli“-Umzügen noch lebendig. Herbstrüben werden extra dafür angepflanzt und wundervoll oder einfach liebevoll verziert. Der Feuersprungbrauch ist teilweise als ein Sprung über Kerzen geblieben. Im 15. Jh. unserer Zeitrechnung waren die Martinfeuer so zahlreich, dass sich der Name Funkentag einbürgerte, heute wird dies teilweise als eine Bezeichnung für den Vortag genommen. In Eichsfeld war es brauch kleine Kerzen auf schwimmenden Nussschalen zu entzünden und sie dem Fluss Geislede zu übergeben.
Brotwecken, Laibe
"Martinilaibchen", "Martinshörnchen", "Merteswecken" oder auch "Lutherbrötchen" werden verteilt um nach christlicher Interpretation an die Wohltätig Martins zu gedenken (der Legende entsprechend wären allerdings Kleidung für die Armen passender). Da die Lichterprozessionen bereits auf einen Segenswunsch für die Fruchtbarkeit der Felder zum nächsten Jahr hindeuten, werden die Brotlaibe oder Wecken wohl eher auch an die Fruchtbarkeit angeknüpft. Möglich, dass die Brotlaibe in Menschenform sogar eine Darstellung der besänftigten Naturgeister sind, dies ist jetzt aber Spekulation meinerseits. Es könnte sich dabei auch um den Herrn der Wilden Meute handeln, mehr dazu weiter unten.
Es gibt allerdings auch andere Hinweis auf Ernte Opfer, z.B. im Niederländischen Brauch einen Früchtekorb in das Feuer zu werfen, in Deutschland wurden mancherorts leere Früchtekörbe hineingeworfen.
Die Wilde Meute
Bereits zum Martinstag erschienen einige “Wilde Gestalten” des Volksbrauchs, die uns in mehreren Alpenbräuchen wie dem Perchtenlauf, oder auch in der Gefolgschaft von Sankt Nikolaus immer wieder begegnen. Diese Bräuche sind so verbreitet, dass es möglich ist, dass sie einen sehr entscheidende Funktion inne hatten, wo sie heute nur Brauchtum und Märchen schmücken. Der Pelzmärten erschreckte in Ansbach die Kinder bevor er sie mit Nüssen und Äpfeln bewarf. Weitere Gestalten sind der Buttnmandel, Butzemärtel, Junker Martin, Klausen, Strohschab, Schellenmärte, Nussmärte, Knecht Ruprecht. Mehrere Lärmbräuche wie z.B. den Wolfaustreiben oder das Umschnalzen wo Jugendliche mit Peitschen (Verbindung zur Gerte) und Kuhglocken deuten auf eine Verbindung oder Vermischung zu germanischen Sonnenwendfeiern hin.
In Belgien nahm der Heilige Martin die Funktion des Nikolaus an und bringt Kindern Nüsse und Äpfel. In Österreich bringt er die „Martinshörner“ (Wecken). Schneit es wird gesagt, Martin komme mit seinem weißen Pferd. Es gibt auch legenden um den Schimmelreiter, der zur gleichen Zeit erscheint. Es wird davon ausgegangen, dass Martin in dieser Hinsicht an die Stelle von Wodan getreten ist. Sicherlich ist es nicht zufällig, dass er zuvor eine militärische Karriere als Teil der Reitertruppe verfolgte, was ihn wiederum in die Nähe des Gottes rückt. Hier können wir auch eine Verbindung zum Kriegergott Mars ziehen, der Martin seinen Namen gab, wie auch die Verbindung zur Fruchtbarkeit über die Liebe von Venus und Mars. Mancherorts wird Martin auch heute noch auf dem Pferd dargestellt, teilweise wird die Mantelteilung nachgeahmt. Der Zusammenhang kann auch mit Cernunnos gemacht werden, dem gallo-keltischen Anführer der wilden Horde. Martin von Tours wird meist als auf einem Schimmel reitend dargestellt. Tatsächlich wird er in seiner ursprünglichen Biographie nicht mit Schimmeln und Pferden in Beziehung gebracht. Der Ursprüngliche "Schimmelreiter" ist Odin oder Wotan.
Singen
Das Martinssingen gehört zu den „gabenheischenden Ansingbräuchen“. Kinder gingen von Tür zu Tür und sangen um Brennmaterialien für das große Feuer und freuten sich über zusätzliche Schleckereien. Hier kann ein heidnischer Ursprung tatsächlich nicht belegt werden. Dies soll es nicht ausschließen, aber ich kann es auch nicht bestätigen wie bei den anderen Bräuchen. Die Vermischung mit Nikolausbräuchen ist auch hier ersichtlich, wenn in Mechlin die Kinder singen und oft vier Jungs eine Art Sänfte tragen auf der Martin sitzt. Er hat einen langen Bart, kirchliche Insignien und hält einen langen Löffel um Äpfel und andere Leckereien zu erhalten und einen Lederbeutel für Geld. Natürlich erinnert dies auch an den modernen Halloweenbrauch der aus den Vereinigten Staaten zu uns rüber kommt. Die Verbindung mit dem Heiligen Nikolaus und seiner Gefolgschaft schließt hier wieder Kreis, denn in einem alten Kinderreim wird Nikolaus als Wude Nikolaus bezeichnet (Wude, ein anderer Name für Wotan).
Heidnische Praxis heute?
Gut, soviel zum Ursprung eines heute christlich gefeierten Festes.
Und was hat das mit naturreligiöser Praxis heute zu tun? Schließlich gibt es ja Samhain?
Völlig korrekt. Ein Großteil dieser Bräuche können und werden durchaus in den Ahnengedenkfeiern zum neuheidnischen Samhain gefunden, Erntedank wird von vielen Neuheiden zur Herbsttag-und-nachtgleiche gefeiert. Berechnen wir Samhain nach dem Mondkalender kommen wir übrigens häufiger in die Mitte oder Anfang November, was die Nähe der beiden Feste betont. (Tatsächlich ist nicht wirklich bekannt wie die Kelten ihre Feste berechneten). Zusätzlich sind die Hochfeste früher an mehreren Tagen gefeiert worden, nicht nur an einem. Die Feste schließen einander also nicht aus, vielmehr könnten sie Teil eines Festzyklus sein, der durch sie beide komplettiert wird. An einem Tag gedenkt man den Ahnen, an einem anderen geht es um den Beginn der Streifzüge der Wilden Horde und einen Segenswunsch für Fruchtbarkeit im kommenden Wirtschaftsjahr. Eine Umsetzung wäre z.B. ein kleiner Festumzug mit Fackeln (Erwachsene) und Laternen (Kinder), begleitet von einem verkleideten "Herrn der Wilden Meute", Cernunnos, Wotan auf einem Schimmel. Dieser könnte auch mit einer Gerte wie oben beschrieben rumlaufen und kleine Hiebe verteilen und Schabernack während des Umzugs treiben. Am Ende ein kleiner Sprung über Kerzen und jeder der sich traut erhält einen kleinen Weckenmann (Cernunnos-Wodan selbst mit der Rute in der Hand und der Süße der Rosinenfrüchte als Versprechen für den nächsten Frühling durch den Winter). Vor einem großen Feuer, in das ein Früchtekorb als Dankesgabe geworfen wird (kann sicherlich rituell als Opfer noch ausgebaut werden), erhalten alle etwas zu trinken, für die Erwachsenen natürlich heurigen (oder Glühwein ;-)). Am nächsten Tag wird die Asche eingesammelt und unter der Gemeinschaft verteilt, damit jeder sein Haus damit bestreuen kann (oder den Schreibtisch bei der Arbeit, oder es in einem Gefäß unter den Arbeitsplatz legen, oder unters Bett wenn man gerade in der „Produktionsphase“ ist oder…..)
Entweder am Tag des Umzugs selbst, oder am Tag darauf gibt es dann ein leckeres Gänseessen und mit dem „Wunschknochen“ prüft man wer einen Wunsch erfüllt kriegt.
Klingt für mich zumindest nach einer perfekten naturreligiösen Volksfeier.
Quellen:
Manfred Becker-Huberti: Lexikon der Bräuche und Feste
Clement A. Miles: Christmas in Ritual and Tradition, Christian and Pagan
Willhelm Mannhardt: Wald- und Feldkulte Band 1 und Band 2
Pamela Graf: Martinigans